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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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einen weiteren Auftrag übernehme – Ihre Tochter zu schützen oder Sie oder beide. Aber ich bin überzeugt, das Beste und dazu auch noch Billigste, was ich im Moment für Sie tun kann, ist, mich nicht in Ihrer Nähe zu zeigen.«
    »Das haben Sie das letzte Mal schon gesagt!«
    »Weil es letztes Mal schon gestimmt hat. Ich schlage Ihnen Folgendes vor: Sie melden Marieke in der Schule für eine weitere Woche krank und bleiben mit ihr zu Hause. Wenn Methat noch mal anruft oder die Polizei oder sonst wer, lassen Sie sich nichts einreden: Niemand außer Ihnen und mir weiß von unserer Verbindung. Selbst Marieke kennt nur einen Polizisten namens Magelli. Wenn jemand an der Haustür klingelt, machen Sie nicht auf, und wenn der Jemand nicht weggeht, rufen Sie mich an. Falls Sie in einer Woche noch belästigt werden, kümmere ich mich darum.«
    Wieder holte sie Luft, als liege ein Sack Gips auf ihrer Brust, ehe sie vorsichtig fragte: »Das versprechen Sie mir?«
    »Das verspreche ich Ihnen.«
    »Bitte, Herr Kayankaya… Ich habe wirklich große Angst, und ich bin völlig allein…«
    »Ich habe gesagt, ich kümmere mich darum. Aber die eine Woche müssen Sie schon durchhalten. Ich bin sicher, Abakays Leute stochern im Moment nur so ein bisschen auf gut Glück herum. Vermutlich hat Abakay eine Liste mit Personen zusammengestellt, denen er auf die ein oder andere Art übel mitgespielt hat und von denen er zu Recht annimmt, dass jeder von ihnen einen Privatdetektiv beauftragt haben könnte, ihm die Beine wegzutreten. Sie waren wahrscheinlich nur ein Name von vielen. Darum noch mal: Leugnen Sie, jemals von mir gehört zu haben, und ich wette, in ein paar Tagen lässt man Sie in Ruhe.«
    Sie seufzte. »Mein Gott, Herr Kayankaya, in was für eine Geschichte bin ich da bloß geraten.« Und nach einer Pause: »Es tut mir leid, ich falle Ihnen zur Last, nicht wahr?«
    »Ach, es geht so.«
    Sie hielt kurz inne, dann lachte sie leise, vertraut, fast behaglich, als seien wir langjährige Freunde, und sie freue sich, in mir noch den alten Rabauken zu haben.
    »Darf ich Sie was fragen?«
    »Klar.«
    »Glauben Sie…« Sie zögerte. Oder sie tat, als zögere sie. Oder beides. Wahrscheinlich wusste Valerie de Chavannes selber nicht mehr, was ihr absichtslos passierte und was Masche oder Kalkül war. Jedenfalls gab das Zögern der Frage jene Eindeutigkeit, die sie ihr anschließend durch einen möglichst sachlichen, ein wenig schnippischen Ton wieder nehmen wollte. Oder vorgab, nehmen zu wollen. Dazu eine kaum merkliche Prise mädchenhafter Aufgeregtheit. »Glauben Sie, wir wären uns auch ohne diese Geschichte mal begegnet?«
    Diesmal war ich es, der eine Pause entstehen ließ.
    »Bevor ich Ihnen die Frage beantworte, möchte ich Ihnen noch schnell den Namen des Freundes nennen, der in den nächsten Tagen mein Honorar bei Ihnen abholen wird. Er heißt Ernst Slibulsky, ihm machen Sie die Tür dann bitte auf.«
    »Ernst Slibulsky, okay.«
    »Vielleicht sind wir uns ja schon mal begegnet«, fuhr ich fort, machte wieder eine Pause und meinte, den angehaltenen Atem am anderen Ende der Leitung zu spüren. Es war ein Schuss ins Blaue, aber seit unserer ersten Begegnung ließ mich die Ahnung nicht los. Nicht dass ich glaubte, dass wir uns wirklich kennengelernt hätten, aber vielleicht hatten wir uns zur selben Zeit in derselben Gegend herumgetrieben.
    »Sie sind mit sechzehn von zu Hause weg, und in Frankfurt gibt es nicht viele Orte, an denen man sich als junge Ausreißerin irgendwie durchschlagen kann. Wie alt sind Sie?«
    Sie gab keine Antwort. Aber wohl nicht, weil sie mir ihr Alter verheimlichen wollte, sondern weil sie Gefahr witterte.
    »Na, kommen Sie. Sie sehen aus wie Mitte dreißig, aber das sind Sie nicht. Mitte vierzig?«
    Einen Augenblick dachte ich, sie hätte den Hörer weggelegt, dann hörte ich ihr Atmen.
    »…Also um die vierzig. Marieke ist sechzehn, und so blöd waren Sie nicht, dass Sie sich zu früh ein Kind machen ließen. Erst so mit Ende zwanzig, nehme ich an, als die wilden Zeiten langsam zu Ende gingen. So gerechnet standen Sie also vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren mit einer Tasche oder einem Rucksack am Ende der Zeppelinallee an der Bockenheimer Warte. Vielleicht folgten ein paar Wochen bei Freunden oder ein Ferientrip nach Südfrankreich oder so was, aber irgendwann gingen die Freunde wieder in die Schule, und Ihr Geld war alle. Natürlich hätten Sie sich eher den Arm abgehackt, als Ihre Eltern um finanzielle

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