Bruderdienst: Roman (German Edition)
werden.«
»Will ich gar nicht«, sagte er. »Im Gegenteil: Du hast mich bis jetzt keine Minute schlafen lassen, und allmählich denke ich, du bist ganz schön rücksichtslos und denkst nur an deine eigenen Wünsche.«
»Im Augenblick denke ich an ein Leberwurstbrot«, sagte sie. »Und manchmal denke ich an Krause, wie er mit der Kanzlerin telefoniert hat. Und ich finde …«
»Ich möchte endlich schlafen, und du redest von Krause und Leberwurstbroten.« Er räkelte sich.
Sie ließ sich vom Bett gleiten, zog sich ein T-Shirt über den Kopf und verschwand.
»Machst du mir auch ein Leberwurstbrot?«
»Liebst du mich?«, fragte sie von nebenan.
»Durchaus. Wenn du mich schlafen lässt. Ach, verdammt, ich bin noch so was von aufgedreht. Ich könnte glatt Kim besuchen.«
»Das hast du schon gesagt, als wir aus dem Flieger gestiegen sind. Läuft da irgendetwas, was ich wissen sollte? Willst du auch eine Gurke?«
»Nein, will ich nicht. Weißt du was, ich fahre hin, wecke ihn und verkünde: Wir haben das Scheißding gefunden.«
»Willst du Meerrettich drauf?«
»Igitt, doch nicht so was. Weißt du, ich glaube, ich sause einfach mal kurz los.«
»Verdammt, Müller. Wovor hast du denn Angst?«
»Vor seiner Angst.«
»Tja, dann musst du wohl hinfahren.«
Zehn Minuten später saß er in ihrem Wagen und fuhr durch die frühmorgendliche Stadt. Er fuhr langsam, dachte an die letzten Stunden zurück und lächelte.
Gegenüber von Kims Wohnhaus saß in einem hellgrünen älteren VW-Modell der diensthabende Sicherheitsbeamte, der zu Kims Schutz einbestellt worden war. Müller trat an das Auto, klopfte an die Scheibe, und nachdem diese heruntergelassen worden war, hielt er dem verschlafen wirkenden Beamten seinen Dienstausweis unter die Nase: »Dieser Einsatz ist beendet. Sie können für heute Schluss machen und sich aufs Ohr hauen.« Während Müller die Straße überquerte, sah er wie der VW zügig davonfuhr. Schon als er den Schlüssel in die Haustür steckte und mit dem Lift nach oben fuhr, hatte er das Gefühl, dass Kim nicht da sein würde.
Kim hatte die Wohnung nahezu keimfrei zurückgelassen. Kein gebrauchtes Glas, kein schmutziger Teller, kein Besteck, alles gespült. Er hatte nicht einmal von den Salzstangen gegessen, die Müller ihm in den Einkaufswagen geworfen hatte. Seine neue Kleidung hing unangetastet im Schrank, Müller konnte sich also ungefähr vorstellen, was er trug.
Im Keller war er auch nicht.
Hatte er Panik bekommen, sich in ein Taxi geworfen und war in den Gardeschützenweg gefahren? Müller rief dort an, und der Beamte vom Dienst fragte entnervt: »Wissen Sie eigentlich, wie viel Uhr es ist? Vielleicht schauen Sie mal in seinem Bett nach.«
Also gut. Was habe ich ihm eingebläut? Wie sollte er sich entfernen? Bus, Bahn, am besten Taxi. U-Bahn auch noch. Müller rannte um die Ecke in die Fußgängerzone hinein. Dort standen zwei Taxis, es war die tote Zeit.
Auf seine Frage, ob er rein zufällig einen Koreaner gesehen hätte, antwortete der erste Taxifahrer: »Nein, wie sieht denn so einer überhaupt aus?«
Die Treppen hinunter zur U-Bahn. Im Schatten eines Häuschens für die Aufsicht lagen drei Penner nebeneinander auf Decken. Und dicht neben ihnen lag Kim. Er schnarchte.
»He, Mann«, sagte Müller erfreut und rüttelte Kim an der Schulter. »Was tust du denn hier?«
Kim kam nur langsam zu sich. Er stank nach Fusel. »Charlie, mein Freund Charlie!«
»Na komm, gehen wir mal nach Hause. Wie bist du denn hier gelandet?«
»Ich dachte, ich treffe mal Menschen. Das war ganz einfach. Ich habe den Jungs da hundert Dollar gegeben, und sie haben den Schnaps besorgt.«
»Hundert Dollar?«
»Na ja, ich habe doch noch so viel aus Seoul.«
»Was ich nicht verstehe, da war doch jemand auf der Straße postiert, um ein Auge auf dich und die Wohnung zu haben.«
»Ach der Mann in dem grünen Auto, ich habe einfach dafür gesorgt, dass er nicht mitkriegt, wie ich das Haus verlasse. Und weißt du, wir hatten eine Menge Spaß. Sie haben mich nicht verstanden, ich habe sie nicht verstanden, aber Brandy haben sie verstanden. Du bist wieder da, Charlie, das ist schön. Wie ist es denn gelaufen?«
»Ganz lustig«, sagte Müller. »Wir haben die Bombe gefunden.«
»Die Bombe. Das ist wirklich lustig.«
»Kim, bleib mal eben stehen und hör mir genau zu: Wenn dich die Bullen angehalten hätten, wärst du im Knast gelandet, kapierst du das nicht?«
»Aber warum denn, Charlie? Ich habe doch gar
Weitere Kostenlose Bücher