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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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Stoßstange. »Natürlich.«
    »Das ist die I-80, stimmt’s?«
    »Ja.«
    »Bleib auf der 80, bis du im Südwesten von Wyoming nach Rock Springs kommst. Von Rock Springs nimmst du den Highway 191 in Richtung Norden. Ab da musst du den Kilometerzähler im Auge behalten. Nach siebzig Meilen musst du anhalten und mich aufwecken. Ich zeig dir dann den restlichen Weg.«
    »In Ordnung.«
    »Fahren wir noch heute Nacht dorthin?«
    »Nein, ich bin ausgelaugt. Ich werde bis morgen früh schlafen.«
    »Andy, hast du Luther umgebracht?«
    »Ich hab gekniffen«, erwiderte ich und stand auf. »Du hast ihm eine Nachricht hinterlassen.«
    »Ich weiß, dass ich…«
    »Du bist total im Arsch. Ich werde deine Spritze holen.«
     
    Bei einer Strecke von zweitausend Meilen musste es irgendwann passieren.
    Am Dienstagmorgen hatte ich bereits die Abfahrten nach Red Desert, Table Rock, Bitter Creek und Point of Rocks hinter mir, als ich dreißig Meilen östlich von Rock Springs eine Sirene hinter mir hörte – ein Fahrzeug der Highway Patrol hing an meiner Stoßstange. Mit meiner Pistole in der Tasche hinter dem Beifahrersitz fuhr ich auf den Standstreifen und beruhigte mich: Warum sollten sie den Kofferraum durchsuchen wollen? Orson ist bewusstlos. Ich habe einen gültigen Führerschein und die richtigen Fahrzeugpapiere. Ricki’s ist vielleicht nicht einmal passiert. Ich hab genug Geld dabei.
    Der Officer klopfte gegen meine Scheibe. Ich ließ sie herunter.
    »Führerschein und Fahrzeugpapiere«, sagte er mit nüchternem, autoritärem Tonfall. Ich holte die Papiere aus dem Handschuhfach und reichte sie ihm lächelnd durch das Fenster.
    Er ging o-beinig zurück zu seinem jagdgrünen Ford Mustang und stieg ein.
    Die Uhr im Armaturenbrett zeigte zehn Uhr fünfzehn an, doch ich hatte das Gefühl, es sei schon viel später. Die Prärie sah hier trocken aus. Am nordwestlichen Horizont ragte eine gelbbraune Hügelkette aus dem Flachland empor. Dahinter türmten sich graue Wolken auf.
    Ich bemerkte, dass der Pullover und die Jeans, die ich bei Ricki’s getragen hatte, im Fußbereich des Beifahrersitzes lagen. Es war passiert! Sie waren mit Luthers Blut befleckt, und ich bedauerte, sie letzte Nacht an der Tankstelle in Cheyenne nicht weggeworfen zu haben. Ich wollte sie gerade zusammenknüllen, als die auf dem Kies knirschenden Schritte des Officers mich innehalten ließen.
    Ich richtete mich auf und blickte ihm wieder durch das offene Fenster ins Gesicht. Der Mann war ungefähr in meinem Alter. Er erinnerte mich an einen Anwalt aus einem Film, doch ich hätte nicht sagen können, aus welchem.
    »Wissen Sie, warum ich Sie angehalten habe, Mr Parker?«, fragte er und gab mir Orsons Führerschein und Fahrzeugpapiere zurück. Ich legte sie auf den Beifahrersitz.
    »Nein, Sir.«
    Er nahm seine Sonnenbrille mit den reflektierenden Gläsern ab und starrte mit kühlen, blassen Augen auf mich herab.
    »Sie sind in Schlangenlinien über die gesamte Breite dieser gottverdammten Straße gefahren.«
    »Wirklich?«
    »Sind Sie betrunken?« Eine Windböe hob seine Mütze, doch er fing sie rechtzeitig auf und klemmte sie unter den Arm. Er hatte kurz rasierte, widerspenstige, blonde Haare, die sich, wenn sie länger würden, sicher zu einer dichten, krausen Lockenperücke auswuchsen. Allein die Vorstellung eines blonden Polizisten mit Afrolook ließ mich kichern.
    »Was ist denn so lustig?«
    »Nichts, Sir. Ich bin nicht betrunken, ich bin nur die letzten zwei Tage durchgefahren.«
    »Von Vermont?«
    »Ja, Sir.« Er blickte auf die Koffer auf den Rücksitzen.
    »Reisen Sie allein?«
    »Ja, Sir.«
    »Welcher von den Koffern gehört denn Ihnen?« Wie listig!
    »Beide.«
    Er nickte. »Und Sie sind erst seit Sonntag unterwegs?«
    »Ja, Sir.«
    »Sie müssen es ja ganz schön eilig haben.«
    »Nein, eigentlich nicht. Ich wollte nur sehen, wie schnell ich das Land durchqueren kann.«
    Ich dachte, mein Ehrgeiz würde ihm vielleicht ein Grinsen abringen, aber er blieb so gleichgültig wie bisher.
    »Wo wollen sie hin?«, fragte er.
    »Kalifornien.«
    »Wo nach Kalifornien?«
    »Los Angeles.«
    »Die I-80 führt aber nicht nach Los Angeles. Die I-80 führt nach San Francisco.«
    »Ich weiß, aber ich wollte durch Wyoming fahren, da ich diesen Teil des Landes bislang noch nicht kenne. Es ist wunderschön hier.«
    »Es ist eine verdammte Scheißgegend!« Ich starrte auf die goldene Anstecknadel über seiner grünen Brusttasche und hatte die unangenehme Vorahnung, dass

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