Bruderherz
Verhältnis zu der Hütte nicht beurteilen. Verdammt, wir könnten in diese Richtung fahren, aber es wäre ein Schuss ins Blaue und vermutlich würden wir irgendwo stecken bleiben.«
»Scheiße!« Ich schaltete den Motor aus. »Ich hätte in Rock Springs anhalten und dort übernachten sollen.«
»Wäre vermutlich das Beste gewesen. Aber du konntest nicht wissen, dass es so sein würde.«
»Nein.« Ich wischte den geschmolzenen Schnee von meinem glatt geschorenen Kopf.
»Du siehst aus wie ich«, sagte Orson. »Was soll das?«
»Bist du durstig?«
»Ja.« Ich ließ ihn aus einer vollen Flasche lauwarmes Wasser trinken.
»Orson«, sagte ich. »Wenn du irgendwas versuchst, egal was, dann bringe ich dich um.«
»Das glaube ich dir.«
Die Uhr im Armaturenbrett zeigte 16 Uhr 07 an. Ich sah zu, wie sie auf 16 Uhr 08 sprang. Dann auf 16 Uhr 09.
»Es wird dort draußen bald dunkel sein«, erklärte ich. Schweiß lief mir die Brust und die Beine hinab. Orson lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er roch nach Urin. Sein Bademantel war fleckig, und ich schämte mich, dass ich ihn seit Vermont nicht mehr hatte zur Toilette gehen lassen.
16 Uhr 10.16 Uhr 11. 16 Uhr 12.
»Ich halte das nicht aus«, sagte ich und ließ den Motor an.
»Was tust du?«
»Ich werde diese verdammte Piste finden.«
»Andy. Andy!« Ich legte einen Gang ein und mit dem Fuß auf dem Gaspedal sah ich zu Orson hinüber. »Lass den Blödsinn«, sagte er ruhig. »Du wirst die Piste nicht finden. Du wirst die Hütte nicht finden. Wir befinden uns mitten in einem heftigen Schneesturm, und wenn wir irgendwo abseits dieses Highways stecken bleiben, hocken wir richtig in der Scheiße. Wir werden dieses Auto so bald nicht verlassen. Das steht fest. Also lass uns hier mitten auf dem Highway ausharren, denn hier wissen wir wenigstens, wo wir sind. Wenn du versuchst, die Piste zu finden, verirren wir uns mitten im weißen Nichts der Wüste.«
»Wir müssen doch nur geradeaus fahren. Die Hütte liegt in dieser Richtung. Wir werden geradeaus fahren bis…«
»Wo ist denn geradeaus? In dieser Richtung? Oder dieser? Oder dieser? Das sieht doch alles gleich aus!«
Ich trat aufs Gas, dass der hintere Teil des Lexus seitlich wegschlitterte. Ich nahm den Fuß vom Pedal und versuchte es deutlich vorsichtiger noch einmal. Dieses Mal griffen die Räder und blieben in der Spur. Mit vierzig Meilen pro Stunde bog ich in die Wüste ab. Die Reifen versanken im Pulverschnee und ich reduzierte das Tempo auf dreißig Meilen. Der Schnee lag doppelt so hoch wie auf der Straße, doch obwohl ich das Gefühl hatte, wir müssten jeden Augenblick ins Schlingern geraten, behielt ich den Wagen unter Kontrolle. Ich fuhr zwischen dem Beifuß hindurch und blickte angestrengt durch die Windschutzscheibe, um nach dem langen, geraden, vegetationslosen Streifen Ausschau zu halten. Er würde in Richtung Westen führen, ein dünnes, weißes Band im Schnee, dem wir folgen konnten, bis wir die Hütte gefunden hatten.
Orson starrte mich mit offenem Mund an.
»Siehst du irgendwas?«, fragte ich. »Siehst du überhaupt hin?« Der Motor hatte Mühe, die Räder in Bewegung zu halten, und die Nadel des Tachometer pendelte zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Meilen. Ich hielt sie mit ungutem Gefühl im Auge.
»Kehr um«, riet er. »Wenn du jetzt umdrehst, finden wir vielleicht zum Highway zurück. Aber wenn du den Wagen hier draußen absaufen lässt, haben wir keine Chance.«
»Halt nach der Piste Ausschau«, sagte ich.
»Andy…«
»Halt nach der verdammten Piste Ausschau!«
Vier Minuten verstrichen, bis ich merkte, dass er Recht hatte. Ich konnte keine fünfzehn Meter mehr über den Rand der Motorhaube hinaus sehen, und da die Tachonadel inzwischen um die Zehnmeilenmarke pendelte, bezweifelte ich, dass die Geschwindigkeit ausreichte, um zum Highway zurückzukehren.
»Wir kehren um«, sagte ich und drehte das Lenkrad nach rechts. Die beiden Hinterreifen schlitterten nach links und ich verlor die Kontrolle über den Wagen. Vor lauter Schreck trat ich das Gaspedal durch und der Wagen drehte sich um die eigene Achse. Nachdem ich endlich den Fuß vom Gaspedal genommen hatte, fuhren wir keine fünf Meilen pro Stunde mehr, und ich konnte nichts tun, um mehr Fahrt zu bekommen. Ein Beifußbusch brachte den Lexus endgültig zum Stehen.
»In Ordnung. Sag jetzt nichts. Kein Wort«, sagte ich.
Ich trat heftig aufs Gaspedal, die Räder drehten sich, fanden aber keinen Halt mehr. Ich umklammerte
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