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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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Ich reichte ihr zwei von Orsons Dollarnoten und sagte: »Stimmt so.« Schaum lief am Glas herab. Ich trank einen Schluck, spürte Eisreste im Bier und fuhr fort, das Stück Papier zu bekritzeln.
     
    heute Morgen eine Frau kennen gelernt – du weißt, wie das geht. Sie hat sogar diesen Brief verfasst, bevor ich…
    Wie dem auch sei, ich halte es für klug, die Stadt sofort zu verlassen. Tut mir Leid, dass wir uns heute Abend nicht treffen konnten. Hab Spaß in Sas. O.
     
    Ich faltete den abgerissenen Straßenkartenzettel ordentlich zusammen, schrieb »Luther« über die Stadt Burlington und legte ihn auf die Theke. Dann trank ich mein Bier und dachte: Also gibt es tatsächlich Menschen, die bei Barkeepern Nachrichten hinterlassen. Wie oft habe ich diese Szene schon geschrieben! Das alles kommt mir unwirklich vor.
    Von meinem Barhocker aus schaute ich mich in der leeren Bar um – kahle, rohe Wände, keine Musikbox oder leuchtenden Bierreklamen.
    Es hingen noch nicht einmal niedliche Cowboysprüche herum, die für Durchreisende aus dem Osten wie mich Prärieatmosphäre verbreiten sollen. Nur ein düsterer, hoffnungsloser Ort, an dem sich die verzweifelten Einheimischen betrinken konnten.
    Ich trank das Bier aus, und als ob ihre Ohren auf das Auftreffen leerer Gläser auf Holz geeicht waren, kam sie durch die Küchentür zurück und stand wieder vor mir.
    »Noch eins?«, fragte sie.
    »Nein, danke. Wo sind die anderen?«
    Sie schaute auf die Uhr. »Es ist erst sechs«, erklärte sie. »Die kommen erst gegen sieben oder halb acht hierher.«
    Draußen fuhr ein Wagen vor. Ich hörte das Geräusch der Reifen im Dreck.
    »Wo ist Ricki?«, fragte ich.
    »Der Mistkerl ist tot.«
    Sie nahm mein leeres Glas und stellte es in einen braunen Plastikkorb.
    »Würden Sie mir einen Gefallen tun?«, fragte ich.
    »Was denn?«, fragte sie freudlos. Sie war vermutlich die gleichgültigste Person, die ich je getroffen hatte. Ich fragte mich, warum sie sich nicht die Pulsadern aufschnitt, und schob ihr den zusammengefalteten Zettel über den Tresen.
    »Ich wollte hier um neun einen Freund treffen, aber ich bin verhindert. Könnten Sie ihm das geben?«
    Sie schaute misstrauisch auf den Zettel, nahm ihn dann aber doch entgegen und steckte ihn in ihre Hosentasche.
    Draußen wurde eine Autotür zugeschlagen.
    »Wie sieht er aus?«, fragte sie.
    »Schulterlanges schwarzes Haar. Sogar noch dunkler als Ihres. Sehr blass. Ende zwanzig. Recht groß. Dunkle Augen.«
    Im gleichen Moment als ich Schritte auf die Tür zukommen hörte, fragte sie: »Nun, zum Teufel, ist er das nicht?«
    Ich schaute über die Schulter und sah Luther Kite zur Tür hereinkommen. Noch während ich vom Hocker rutschte, fuhr ich mit der Hand in meine Tasche und holte die Glock hervor. Bis ich eine Kugel geladen hatte, stand er vor mir und sah auf mich herab.
    Ich nahm nur Bruchstücke wahr: Den Windex-Geruch. Seinen blauen Anorak. Ebenholzschwarze Haare über glatten Wangen. Die Bewegung meines Fingers. Luther, der auf mich fällt, sich festklammert. Geschrei hinter den Eisenbahnschwellen. Keuchen. Blut auf dem Kunststoff. Meine rechte Hand warm und nass. Durch den Dreck zum Auto rennen. Kälte. Der Gipfel des Chimney Rocks nun dunkel. Die vorbeirauschende Prärie und die einsamen Hügel, während ich mit Vollgas in Richtung Wyoming fuhr.

Kapitel 30
     
    Nachdem ich Wyoming halb durchquert hatte, fuhr ich nach Mitternacht hinter Wamsutter auf den Standstreifen der I-80. Es war kein Mond am Himmel, so hatte ich kein Gefühl für die Landschaft, außer dass die Gegend um mich herum noch weiter und einsamer war als Nebraska. Ich stellte die Koffer auf den Boden, rollte mich auf der Rückbank zusammen und schloss die Augen.
    Rauschten Autos auf der Interstate vorüber, wackelte der Lexus. Ich schlief mit der Frage ein, ob die Sache im Ricki’s wirklich passiert war.
     
    Um halb vier morgens weckte mich Orsons Stöhnen. Ich stieg aus, öffnete den Kofferraum und sah, dass er mit geschlossenen Augen hin- und herrollte. Ich weckte ihn aus seinem Alptraum, und als er die Augen öffnete und seine Umgebung wiedererkannte, setzte er sich auf.
    »Wo sind wir?«, fragte er.
    »Mitten in Wyoming.«
    »Ich bin so durstig.«
    »Du wirst bis morgen warten müssen.« Er streckte seine Arme aus und gähnte.
    »Ich habe einen Schuss gehört«, sagte er.
    »Orson, wie finde ich die Hütte?«
    Er legte sich wieder hin. »Wirst du mir wieder eine Spritze verpassen?«
    Ich setzte mich auf die

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