Bruderkampf
Herrick fürchtete ihn beinahe ebensosehr, wie er Pomfret gefürchtet hatte. Bolitho war der Kapitän, er hatte das Schiff übernommen, auf dem Herricks Elend wie ein Gespenst zwischen den Decks hin und her glitt. Daher sagte er verhalten: »Ich nehme an, daß die Mannschaft auf ihre Art protestierte?«
Herrick ließ das Kinn in die Halsbinde sinken. »Ja, Sir. Sie leistete passiven Widerstand. Segel wurden schlecht gesetzt.
Die Geschützbedienungen reagierten langsam.« Herrick lachte böse. »Aber sie hätten es sich sparen können.« Er blickte Bolitho von der Seite her an, in seinen Augen funkelte flüchtig Trotz auf. »Pomfret mied sowieso den Kampf, wenn es sich einrichten ließ.«
Bolitho blickte beiseite. Was bist du für ein Narr, Dick, dachte er ärgerlich. Du hast diesem Mann gestattet, wie ein Verschwörer zu reden. Du solltest ihm Schweigen gebieten, jetzt, ehe jemand an Bord weiß, daß du ohne geringsten Widerspruch eine offene Kritik an Kapitän Pomfret hingenommen hast.
»Wenn Sie ein eigenes Kommando haben«, sagte er ruhig, »werden Sie anders denken, Herrick. Die richtige Handlungsweise ist nicht immer die leichteste.« Er erinnerte sich an Vibarts Feindseligkeit und fragte sich, was der Erste während der Meuterei getan hatte. »Ich weiß, daß sich jeder Offizier die Ergebenheit seiner Männer erst verdienen muß.« Sein Ton wurde schärfer. »Aber ein Kapitän hat das Recht auf die Ergebenheit seiner Offiziere. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Herrick sah starr geradeaus. »Aye, aye, Sir.« Er war von neuem auf der Hut, hatte seine Züge wieder unter Kontrolle, und sein Gesicht trug einen versteinerten Ausdruck.
Bolitho blieb unterhalb der Kirche stehen und sah die an der Kirchhofsmauer entlangführende, ihm wohlbekannte Straße hinauf. An ihrem oberen Ende erhob sich, rechteckig und wenig einladend, das Haus der Bolithos. Der vertraute graue Stein war so dauerhaft wie seine Erinnerungen an die Heimat.
Er stand da, sah zu dem Haus hinauf und war plötzlich so nervös wie ein Eindringling. Er sagte: »Machen Sie weiter, Mr.
Herrick. Suchen Sie den Offizier des Flottenproviantamtes auf.
Sehen Sie zu, daß so viel frische Eier und Butter, wie Sie nur bekommen können, aufs Schiff geschickt werden.«
Herrick musterte das große Haus nachdenklich. »Ihr Heim, Sir?«
»Ja.« Bolitho begann, Herrick in einem anderen Licht zu sehen. Hier auf der regennassen Straße, nicht verankert in der Disziplin der Fregatte, wirkte Herrick fast hilflos. Bolitho hatte die Mannschaftspapiere aufmerksam studiert. Daher wußte er, daß Herrick aus Kent stammte, Sohn einer armen Familie der Mittelklasse war. Sein Vater war Angestellter. Aus diesem Grunde würde er nicht über irgendwelchen Einfluß verfügen, wenn er ihn am dringendsten brauchte. Und wenn er sich im Kampf nicht sehr auszeichnete, waren seine Beförderungsaussichten gering.
Doch der Anblick seines Vaterhauses, das Durcheinander seiner Meinungen und Gedanken reizten ihn, und er sagte kurz: »Würden Sie, wenn alles erledigt ist, vielleicht noch ein Glas Wein mit mir trinken, bevor wir segeln, Mr. Herrick?« Er deutete die Straße hinauf. »Mein Vater wird Sie gern willkommen heißen.«
Herrick öffnete den Mund, doch die Ablehnung blieb ihm im Halse stecken. Er zupfte an seinem Gürtel und sagte verlegen: »Danke, Sir!« Er führte die Hand an den Hut, als sich Bolitho abwandte und zum Haus hinaufging.
Er rührte sich nicht, bis Bolitho das Tor erreicht hatte. Dann ging er, das Kinn auf die Brust gesenkt und die Stirn tief gefurcht, auf die Zitadelle zu.
Leutnant Giles Vibart fluchte, als er auf den losen Steinen ausrutschte und ein Matrose gegen ihn prallte. Die graue Morgendämmerung ließ erkennen, was der Nachtwind angerichtet hatte. Das lange Gras und der Stechginster lagen an die Erde gedrückt und glänzten vor Nässe. Er tastete nach seiner Uhr und hob dann die Hand.
»Wir machen einen Augenblick halt.« Er hörte, daß sein Befehl von Mann zu Mann weitergegeben wurde, und wartete, bis die Leute sich neben dem holprigen Pfad niedergelassen hatten, ehe er sich den beiden Fähnrichen und dem Stückmeister zuwandte.
»Lassen wir den Faulpelzen zehn Minuten zum Ausruhen.
Dann marschieren wir weiter.« Er blickte sich um, als ein schwacher Sonnenstrahl seine Wange traf. »Sie gehen mit Ihrer Gruppe landeinwärts, Mr. Farquhar, um etwaigen Nachzüglern den Rückweg abzuschneiden.«
Farquhar zuckte mit den Schultern und stieß nach
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