Bruderschaft der Kueste
ihn eine gefährliche Wirkung hatte, fragte er sich. Was war da unten eigentlich geschehen? Jean lachte erneut, klopfte Miguel auf die Schulter und winkte Sabino heran, der tatsächlich einen Schlüssel bei sich hatte. Sichtlich erleichtert streckte Miguel ihm die Arme mit den Ketten entgegen.
„Irgendwie hat der Kapitän es eilig gehabt, diesen herauszurücken“, bemerkte Sabino grinsend, während er sich an den Ketten zu schaffen machte.
„Schätze, der Kapitän dieses Schiffes will mich gerne loswerden“, meinte Miguel. Achselzuckend lächelte er zu dem Kapitän herüber, der augenblicklich das Zeichen gegen den bösen Blick machte.
„Sie kamen nicht mehr an ihre kostbare Ladung heran“, fügte er böse grinsend hinzu. „Der sollte zufrieden sein, jetzt ist er mich und die Ladung gleichzeitig los.“
„Lass mich raten“, vermutete Jean belustigt. „Keiner hat sich da noch hinuntergetraut, nachdem die Ersten ihre schmerzhaften Erfahrungen mit dir gemacht haben.“
Als die Ketten von ihm abfielen, reckte Miguel sich genießerisch und lächelte zufrieden, rieb sich gleich darauf seinen Bauch.
„Leider ist auch der Nachschub an Essen ausgeblieben. Ich bin also in mehr als einer Hinsicht tagelang schon ausgehungert“, meinte er, wobei sein Blick abermals Simon streifte.
Dieses Mal hielt der junge Mann seinem Blick entschlossen stand, musterte ihn nun zum ersten Mal vollständig. Miguel war etwas kleiner als Jean, jedoch ein wenig kräftiger, mit breiteren Schultern. Seine Kleidung wirkte derangiert. Er trug ein mit Rüschen besetztes, ehemals weißes Hemd, auf dem sich deutlich Dreck und getrocknete Blutspuren abzeichneten. Es war an mehreren Stellen zerrissen und gab den Blick auf die dunkle, bronzefarbene Haut und schwarze Brustbehaarung frei. Stulpenstiefel zu einer braunen Hose rundeten seine Erscheinung ab. Lange, schwarze Haare hingen ihm wirr und dreckig ins Gesicht. Sein Schnurrbart wirkte ebenso ungepflegt wie der stoppelige Bart. Eine rötliche, kaum verheilte Narbe zog eine Spur über die linke Wange. Seine Züge waren offensichtlich spanisch, das Faszinierendste an ihm waren tatsächlich die schwarzen Augen, mit denen er seine Umgebung aufmerksam musterte. Simon konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er gerade genau jeden Fluchtweg abwog und vorsichtshalber alle Optionen gedanklich durchging.
„Ich stehe schon wieder in deiner Schuld, mein Freund“, meinte er zu Jean und sein Gesicht wirkte ernst und ehrlich. Simon war sich ziemlich sicher, dass er für einen kurzen Moment den wahren Mann dahinter gesehen hatte, einen Mann, vor dem selbst jemand wie Jean auf der Hut sein sollte. „Es gleicht sich wieder aus“, meinte Jean nur lapidar und der Blick seiner Augen bohrte sich in die von Miguel. „Du findest bestimmt dieses Mal eine Gelegenheit, deine Schulden bei mir abzutragen, Miguel.“
Dieser warf ihm einen langen, nachdenklichen Blick zu, und als sein Blick dabei zu Simon weiter wanderte, wandte er sich plötzlich hastig ab. Jeans Augen funkelten triumphierend und Simon runzelte nur verwirrt die Stirn bei dem stummen Blickduell. Er kam derweil nicht dazu, sich zu wundern, denn Jean gab bereits Anweisungen, die gefangene Mannschaft sorgfältig zu fesseln. Dann instruierte er seine Männer, die Ladung des Handelsschiffes hinüber auf ihr Schiff zu bringen. Simon wollte mit hinuntergehen, um seinen Teil der Arbeit zu verrichten, jedoch hielt ihn Jeans Hand auf seiner Schulter zurück.„Du kommst mit mir“, bestimmte er und Simon widersprach ihm nicht, sondern folgte den beiden Männern über das Deck zur Reling. Ein Blick von Jean und seine bedrohliche Ausstrahlung genügten vollauf, um ihm bewusst zu machen, dass sein Schicksal in den Händen dieses Mannes lag. Jean hatte es ihm schon zuvor deutlich genug gemacht, als er noch daran gezweifelt hatte.
Wieder von Bord ins Beiboot zu gelangen, erschien Simon viel leichter. Miguel war zügig und ohne zu zögern hinabgeklettert und nun machten die Blicke, die er ihm von unten zuwarf, ihn zusätzlich nervös. Bemüht, sich vor dem fremden Mann nur ja keine Blöße zu geben, konzentrierte Simon sich ganz und gar auf die ungewohnte Aufgabe. Als er unten ankam, wich Miguel ihm kaum aus, stand sekundenlang überaus dicht neben ihm und lächelte ihn halb spöttisch, halb nachdenklich an.
„Du bist kein Seemann“, stellte er fest. Simon schüttelte nur verneinend den Kopf. So wie ich mich dabei anstelle, ist es wohl
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