Bruderschaft der Unsterblichen
der große, einfältige, schöne Goy. Ich würde ihn gern einmal in meinen heidnischen Schädel blicken lassen.
Wir näherten uns jetzt St. Louis, rasten auf einem leeren Interstate Highway durch offenes Farmland; dann hinein in etwas Feuchtes und Düsteres, das sich selbst Ost-St.-Louis schimpft. Schließlich fuhren wir durch den strahlenden Gateway Arch, undeutlich breitete sich vor uns der Strom aus. Wir erreichten eine Brücke. Die Vorstellung, den Mississippi zu überqueren, betäubte Eli. Er streckte Kopf und Schulter aus dem Wagen und starrte nach draußen, als führen wir über den Jordan. Als wir auf der St.-Louis-Seite des Stroms waren, hielt ich den Wagen vor einem beleuchteten, kreisrunden Lädchen an. Die drei rasten aus dem Auto und torkelten wie Wahnsinnige herum. Ich verließ den Fahrersitz nicht. In meinem Kopf drehten sich noch die Räder. Fünf Stunden ununterbrochene Fahrt. Ekstase! Schließlich erhob ich mich. Mein rechtes Bein war taub. Die ersten fünf Minuten mußte ich humpeln. Aber das war mir diese fünf wunderbaren Stunden wert, diese Stunden, die ganz mir gehört hatten, allein mit dem Wagen und dem Highway. Ich bedauerte, daß wir überhaupt angehalten hatten.
13. KAPITEL
Ned
Ein kalter, dunkler, blauer Abend in den Ozarks. Erschöpfung, Sauerstoffmangel, Brechreiz, die Folgen einer anstrengenden Fahrt. Genug ist genug; hier halten wir an. Vier rotäugige Roboter torkeln aus dem Wagen. Sind wir heute wirklich mehr als tausend Meilen gefahren? Ja, tausend und noch ein paar mehr quer durch Illinois und Missouri nach Oklahoma, lange Strecken mit siebzig oder achtzig Meilen in der Stunde, und wäre es nach Oliver gegangen, hätten wir vor der Bewußtlosigkeit noch fünfhundert Meilen geschafft. Aber das hätten wir nicht mehr durchgehalten. Oliver hat selbst zugegeben, daß seine Konzentration heute nach der sechshundertsten Meile nachgelassen habe. Er hat uns noch bis hinter Joplin gebracht, mit einem starren Gesicht, die Hände schafften es nicht mehr, auf die Kurve einzugehen, die die Augen registrierten. Timothy ist heute vielleicht hundert, hundertfünfzig Meilen gefahren; ich muß den Rest gefahren sein, in einigen Etappen, insgesamt vielleicht drei oder vier Stunden. Der blanke Wahn die ganze Strecke über. Aber jetzt müssen wir halten. Die psychische Belastung ist zu groß. Zweifel, Verzweiflung, Depressionen und Trübsinn haben sich in unsere feste Gemeinschaft eingeschlichen. Trübsinnig, niedergeschlagen, mutlos, desillusioniert und verzagt gleiten wir ins Motel, das wir ausgesucht haben, während wir uns je nach Charakter fragen, wie wir uns selbst dazu bringen konnten, diese Expedition auf uns zu nehmen. Aha! Das Motel Stunde der Wahrheit in Nirgendwo, Oklahoma! Das Motel Zum Rand der Realität! Hotel Skepsis! Zwanzig Zimmer, nachgemachter Kolonialstil, rote Backsteinfront aus Plastik und weiße Holzsäulen, die den Eingang flankieren. Anscheinend sind wir die einzigen Gäste. Ein kaugummikauender weiblicher Nachtportier, ungefähr siebzehn Jahre alt, das Haar zu einem phantastischen 1962er Bienenkorb hochfrisiert, mit Haarfestiger zusammengehalten. Sie sieht uns träge an, kein Interesse blitzt in den Augen auf. Zu dick aufgetragener Lidschatten, türkis mit schwarzer Umrandung. Eine Nutte, eine Schlampe, zu plump auf Hure gemacht, um wirklich damit erfolgreich zu sein.
„Die Snack-Bar ist bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet“, erklärte sie uns. Ein bizarr gellender Tonfall. Timothy überlegt, ob er sie zum Bumsen in sein Zimmer bitten soll, das wird jedem von uns klar. Ich glaube, er will sie irgendeiner Sammlung einverleiben, die er von allen amerikanischen Typen anlegt. Eigentlich – und ich darf hier für mich, als Unterart der vielfältigen Erscheinungsformen der Perversität, in Anspruch nehmen, als objektiver Beobachter zu fungieren – sähe sie gar nicht mal so schlecht aus, wenn man sie nur ordentlich abschrubben würde, damit sie das ganze Make-up und Haarspray los wird. Sehr schöne, hochstehende Brüste, die sich unter ihrer grünen Uniform abzeichnen; hohe Wangenknochen und hübsche Nase. Aber die stumpfen Augen und die schlaffen, vorstehenden Lippen lassen sich nicht abwaschen. Oliver wirft Timothy einen erhitzten, drohenden Blick zu und warnt ihn damit, mit ihr etwas anzufangen. Zum erstenmal gibt Timothy auf: Auch ihn hat die depressive Stimmung besiegt. Sie weist uns zwei aneinandergrenzende Doppelzimmer zu, dreizehn Dollar das Stück, und Timothy
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