Bruderschaft der Unsterblichen
Ich versuchte, ihn mit ein paar Worten zu ermuntern. „Gib nicht gleich auf, Mensch. Mach dich nicht schlechter als du bist.“ Dann erinnerte ich ihn daran, daß er mir ja e i gentlich beichten solle. Er nickte. Ungefähr eine Minute saß er ganz still in sich gekehrt da und wippte vor und zurück. Schließlich sagte er plötzlich mit erstaunlicher Irrelevanz: „Ned, wußtest du, daß Oliver schwul ist?“
„Das habe ich sofort bemerkt.“
„Du wußtest das?“
„Es dauert lange, bis man so etwas zugibt, hast du di e sen Spruch noch nie gehört? Ich entdeckte es in seinem Gesicht beim erstenmal, als ich ihn sah. Ich sagte mir, dieser Mann ist schwul. Die glasigen Augen, die ang e spannten Kiefer, der Blick voll unterdrücktem Verlangen, diese kaum verhüllte Wildheit einer Seele, die in Schmerz lebt, weil sie nicht tun darf, wonach sie ve r zweifelt strebt. Alles an Oliver deutet darauf hin die selbststrafende Arbeitswut in seinem Studium, die ve r bissene Art, wie er seinen athletischen Übungen nac h geht, sogar seine zwanghafte Bumssucht. Es ist die kla s sische Figur eines latenten Homosexuellen, klar?“
„Nicht latent“, sagte Eli.
„Was?“
„Er ist nicht nur ein potentieller Schwuler. Er hat schon homosexuelle Erfahrungen. Nur einmal, sicher, aber es hat einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen. Und es hat, seit er vierzehn Jahre alt war, sein ganzes Verhalten beeinflußt. Warum, meinst du wohl, hat er dich eingeladen, bei ihm einzuziehen? Es sollte ein Test für seine Selbstkontrolle sein – für ihn war es eine Übung in Gelassenheit, in all den Jahren, da er es sich nicht e r laubt hat, dich zu berühren –, aber du bist das, was er will, Ned. Ist dir das jemals aufgefallen? Seine Veranl a gung ist nicht nur latent. Sie ist ihm bewußt, sie liegt unmittelbar unter der Oberfläche.“
Ich sah Eli befremdet an. Was er mir da sagte, war d a zu geeignet, sich für mich als großer Vorteil zu erweisen; und abgesehen von der Hoffnung auf persönlichen G e winn durch Elis Eröffnung war ich davon fasziniert und verwundert, wie man das ja immer bei solchem Getra t sche aus der Intimsphäre ist. Trotzdem fühlte ich mich, als müßte ich mich übergeben. Ich erinnerte mich an ein Ereignis während meines Sommers in Southampton, eine alkoholschwangere Orgie, wo zwei Männer, die seit zwanzig Jahren zusammenlebten, in einen außergewöh n lich heftigen Streit geraten waren, bis einer von ihnen plötzlich dem anderen die Samtrobe herunterriß und ihn uns allen nackt präsentierte. Er zeigte einen fetten Bauch, einen fast haarlosen Unterleib und die unterentwickelten Genitalien eines zehnjährigen Jungen. Und er schrie, daß er in all den Jahren sich damit hatte begnügen müssen. Dieser Moment der Zurschaustellung, diese katastrophale Demaskierung, war auf Wochen zur Quelle herrlichsten Partytratsches geworden, aber mich ließ sie angewidert zurück; denn ich und alle anderen Anwesenden in diesem Raum waren unfreiwillig Zeugen der intimen Qual eines anderen geworden. Und ich wußte genau, daß das, was an jenem Tag offen zur Schau gestellt worden war, nicht bloß der Körper von irgend jemandem war. Auf die E r fahrung, die ich dort machen mußte, hätte ich gern ve r zichtet. Nun hatte mir Eli etwas erzählt, das einerseits für mich ganz natürlich sein konnte. Aber auf der anderen Seite war ich wieder, ohne darum gebeten zu werden, zum Eindringling in die Intimsphäre eines anderen g e worden.
Ich sagte: „Wie hast du das herausgefunden?“
„Oliver hat es mir vergangene Nacht erzählt.“
„In seiner Beich…“
„In seiner Beichte, jawohl. Es geschah drüben in Ka n sas. Er ging mit einem seiner Freunde zur Jagd in die Wälder. Der Freund war ein Jahr älter als er. Und sie le g ten eine Pause ein, um schwimmen zu gehen. Als sie wieder aus dem Wasser kamen, hat der andere Bursche Oliver verführt, und Oliver hat sich verführen lassen. Er hat es nie vergessen, die Intensität, das reine körperliche Vergnügen in dieser Situation. Allerdings hat er darauf geachtet, diese Erfahrung niemals zu wiederholen. Daher könntest du absolut recht haben, wenn du sagst, damit könnte man viel von Olivers Zwanghaftigkeit , seiner B e sessenheit so interpretieren, daß er ständig bemüht ist um die Unterdrückung seiner …“
„Eli!“
„Ja, Ned?“
„Eli, diese Beichten sollen vertraulich sein.“
Er nagte an der Oberlippe. „Ich weiß.“
„Du vergewaltigst Olivers Intimsphäre, wenn
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