Bruderschaft der Unsterblichen
der letzten Woche schien es mit ihm a b wärtszugehen. Und diese paar Beichttage schienen ihn in den allertiefsten Abgrund gestürzt zu haben. Die Augen traurig, die Mundwinkel unten. Der plötzlich veränderte Gesichtsausdruck von Selbstzweifel und Selbstschm ä hung . Er strahlt Kälte aus. Er ist ein Weh-ist-mir-Typ geworden. Was bedrückt dich, geliebter Eli? Wir mac h ten es uns bequem. Ich fühlte mich frei und gelöst, war bester Laune, die ganzen letzten drei Tage schon, seit ich vor Timothy die Geschichte von Julian und dem anderen Oliver ausgeschüttet hatte. Bruder Javier weiß, was er tut. Den ganzen inneren Müll auskippen war genau das, was mir gefehlt hatte. Den Müll ans Tageslicht zerren, ihn analysieren und dabei entdecken, welches denn nun eigentlich die Stelle ist, die mir am meisten weh tut. S o mit konnte ich Eli jetzt entspannt und gefühlvoll bege g nen, meine übliche leichte Boshaftigkeit war weit, weit weg von mir. Ich hatte keine Lust, ihn anzutreiben und saß einfach wartend da, der coolste Ned, den es je gab, bereit, Elis Schmerz zu empfangen und ihm bei der Li n derung zu helfen. Ich erwartete, daß er in einem raschen Aufwasch seine Seele in einer Beichte reinwaschen wü r de. Aber nein, noch war es nicht soweit, das indirekte Vorgehen ist Elis Markenzeichen; er wollte erst über e t was anderes reden. Wie, so fragte er, würde ich unsere Chancen bei der Prüfung einschätzen? Ich zuckte die Achseln und erklärte ihm, daß ich nur selten über solche Dinge nachdenken würde, sondern einfach nur unsere tägliche Routine von Feldarbeit, Meditieren, Exerzitien und Bumsen über mich ergehen ließe und mir dabei sa g te, daß ich mit jedem neuen Tag in jeder Beziehung dem Ziel näher und näher kommen würde. Eli schüttelte den Kopf. Die Vorstellung eines drohenden Versagens b e drückte ihn. Er war zuerst davon überzeugt gewesen, daß unsere Prüfung erfolgreich verlaufen würde, und die let z ten Nebel des Skeptizismus waren von ihm gewichen, er glaubte unabänderlich an die Wahrheit des Buches der Schädel und war auch davon überzeugt, daß seine Ve r günstigungen uns zukommen würden. Nun war sein Glaube an das Buch zwar ungebrochen, aber sein Selbs t vertrauen war gebrochen. Er war davon überzeugt, daß eine Krise im Anmarsch war, die unsere Hoffnungen b e graben würde. Das Problem, sagte er, sei Timothy. Eli war sich sicher, daß Timothys Toleranz dem Schädelhaus gegenüber auf dem Nullpunkt angelangt sei, und er in einigen Tagen abhauen würde.
„Das glaube ich auch“, sagte ich.
„Was können wir dagegen tun?“
„Nicht viel. Wir können ihn nicht zwingen zu ble i ben.“
„Was wird aus uns, wenn er geht?“
„Woher soll ich das wissen, Eli? Ich fürchte, wir we r den Ärger mit den Brüdern bekommen.“
„Ich werde ihn nicht gehen lassen“, sagte Eli mit u n vermittelter Heftigkeit.
„So? Wie willst du ihn denn aufhalten?“
„Daß weiß ich noch nicht.“
„Lieber Gott, Ned, merkst du denn nicht, wie alles auseinanderzubrechen droht?“
„Ich dachte eigentlich, wir würden es schaffen“, sa g te ich.
„Eine Zeitlang, ja, eine Zeitlang. Aber damit ist es vorbei. Wir haben Timothy eigentlich nie richtig fes t halten können.“ Eli zog wie eine Taube den Kopf zw i schen die Schultern. „Und dann die Sache mit den Priesterinnen. Di e se Nachmittagsorgien. Ich verhunze sie, Ned. Ich bekomme einfach keine Kontrolle über mich. Sicher ist es prima, so leicht ans Bumsen zu kommen, aber ich erlerne eben die erotischen Diszipl i nen nicht, von denen man erwartet, daß ich sie beher r sche.“
„Du gibst dich selbst zu früh auf.“
„Aber ich sehe keinen Fortschritt. Mir ist es bis jetzt noch nicht gelungen, bis zur dritten Frau auszuhalten. Mehrmals gelang es mir bei zweien. Aber bei dreien ni e mals.“
„Ist doch bloß eine Sache der Übung“, sagte ich.
„Klappt es denn bei dir?“
„Ziemlich gut.“
„Natürlich“, sagte er. „Weil du dir nicht allzuviel aus Frauen machst. Für dich ist das bloß eine körperl i che Übung, so als würdest du auf einem Trampolin springen. Aber ich habe zu diesen Mädchen eine B e ziehung, Ned. Sie sind Objekte meiner sexuellen B e gierde. Was ich mit ihnen anstelle, hat enorme Bede u tung für mich. Und so … und so … lieber Gott, Ned, wenn ich damit nicht kla r komme, was hat es denn für einen Wert, wenn ich mich bei den anderen Sachen anstrenge?“
Er verschwand in einer Woge von Selbstmitleid.
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