Bruderschaft der Unsterblichen
bestreite die Realität des Hauses der Schädel. Ich bestreite die Realität von Oliver Marshall. Ich bestreite die Realität der Realität.
Ich glaube, ich war heute zu lange in der Sonne.
Ich habe Angst. Ich werde vom Geschehen abgetrennt. Ich bin nicht mehr daran beteiligt. Und ich kann mit ni e mandem darüber sprechen. Denn ich bestreite auch sie. Ich bestreite alles. Gott helfe mir, ich habe Gott bestri t ten. Ich habe den Tod bestritten und das Leben. Welche Fragen stellen die Zen-Anhänger? Wie hört es sich an, wenn eine Hand klatscht, nun? Wohin verschwindet die Flamme einer Kerze, wenn sie ausgepustet worden ist?
Wohin verschwindet die Flamme?
Ich glaube, dorthin werde ich auch bald gehen.
27. KAPITEL
Eli
Jetzt fangt also alles an. Die Riten, die Ernährungsb e stimmungen, die körperlichen Übungen, die geistigen Exerzitien, und was es sonst noch so gibt. Ganz klar h a ben wir erst die Spitze des Eisbergs gesehen. Noch vieles bleibt zu entdecken. Zum Beispiel wissen wir noch i m mer nicht, wann den Bedingungen des Neunten Myster i ums Genüge getan werden muß. Morgen, nächsten Fre i tag, Weihnachten, wann? Schon belauern wir einander in einer wenig schönen Art, spähen durch das Gesicht auf den darunterliegenden Schädel. Du, Ned, wirst du dich für uns töten? Du, Timothy, hast du vor, mich zu töten, damit du leben darfst? Wir haben über diesen Aspekt noch überhaupt nicht laut nachgedacht, noch nicht ei n mal; die Sache scheint zu schrecklich und zu absurd, um darüber zu diskutieren oder nur nachzudenken. Vielleicht sind die Forderungen nur symbolisch gemeint, metaph o risch zu verstehen. Vielleicht auch nicht. Ich mache mir darüber Sorgen. Seit Beginn dieses Projekts habe ich darüber nachgegrübelt, bestimmte gedankliche Prämissen gesetzt, wer zu gehen hat, wenn überhaupt jemand von uns gehen muß: Ich werde durch ihre Hände sterben, Ned durch seine eigene Hand. Natürlich werde ich mich d a gegen wehren. Ich bin ja hierhergekommen, um das ew i ge Leben zu erlangen. Ich weiß nicht, ob das bei den a n deren genauso ist. Ned, der verrückte Ned, ihm ist zuz u trauen, daß er den Selbstmord als seine wesentliche ep i sche Tal ansieht. Timothy scheint sich eigentlich gar nicht viel aus einer Lebensverlängerung zu machen, o b wohl ich glaube, daß er sie annehmen wird, wenn sie ihm ohne große Anstrengung in den Schoß fällt. Oliver b e harrt darauf, daß er sich ganz und gar weigert, jemals zu sterben, und er wird bei diesem Thema ziemlich stur; doch ist Oliver nicht so hartnäckig, wie er an der Obe r fläche scheint, und in seinen Motiven liegt nichts Zwe i deutiges. Unter einer anderen philosophischen Vorau s setzung könnte er genauso überzeugt sterben, wie er jetzt zu leben verlangt. Somit kann ich nun nicht mit B e stimmtheit sagen, wer dem Neunten Mysterium unterli e gen wird. Nur, daß ich jeden meiner Schritte sorgfältig bedenke, und das werde ich so lange tun, wie wir uns hier aufhalten. (Wie lange mag das wohl sein? Darüber haben wir eigentlich noch nie nachgedacht. Ich rechne mir aus, daß die Osterferien in sechs oder sieben Tagen vorüber sein werden. Sicher ist die Prüfung bis dahin noch nicht beendet. Ich habe so das Gefühl, es könnte Monate oder Jahre dauern. Werden wir trotzdem nächste Woche abhauen? Wir haben geschworen, es nicht zu tun, aber natürlich können die Brüder uns nicht viel anhaben, wenn wir uns alle in tiefer Nacht davonschleichen. Aber ich will bleiben. Wochenlang, wenn es sein muß. Wenn nötig, jahrelang. Man wird uns in der Welt draußen für vermißt erklären. Das Einwohnermeldeamt, das Krei s wehrersatzamt, unsere Eltern, sie alle werden uns ve r missen. So lange jedenfalls, wie sie nicht hier nach uns suchen. Die Brüder haben unser Gepäck aus dem Wagen geholt. Der Wagen selbst steht noch immer am Rand des Wüstenpfads. Wird die Landespolizei ihn bei Gelege n heit bemerken? Werden sie einen Mann losschicken, um auf dem Pfad nach dem Besitzer des glattpolierten S e dans zu suchen? Das ist für uns natürlich ein Unsiche r heitsfaktor. Aber wir werden für die Dauer der Prüfung hier bleiben. Auf jeden Fall werde ich hier bleiben.)
Und wenn alles um den Ritus der Schädel der Wah r heit entspricht?
Ich werde nicht hier bleiben, wie das die Brüder zu tun scheinen, nachdem ich das erlangt habe, wonach ich str e be. Nun, fünf oder zehn Jahre werde ich noch hier verbringen, aus einem Gefühl des Anstands, der Dan k barkeit heraus. Aber
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