Bruderschaft der Unsterblichen
dann will ich raus. Die Welt ist groß, warum also die Ewigkeit in einem Wüstenort ve r leben? Ich habe schon genaue Vorstellungen von meinem zukünftigen Leben. Auf eine gewisse Weise sind sie d e nen von Oliver ähnlich: Ich werde meinen Hunger nach Wissen stillen. Ich werde hintereinander mehrere Leben leben und versuchen, aus jedem das Beste zu machen. Sagen wir mal, ich verbringe zehn Jahre in der Wall Street und warte dort auf meine Chance. Falls mein Vater recht hat, und da bin ich ganz sicher, kann jeder einige r maßen Vernünftige die ganze Szene schlagen, indem er lediglich das Gegenteil von dem tut, was die vermeintlich gewieften Börsenhaie tun. Sie sind wie Schafe, wie Vieh, ein Haufen von goyische Kops. Plump und gierig folgen sie bald dieser, bald jener Marotte. Also werde ich das Gegenteil ihres Spiels tun und dabei zwei bis drei Milli o nen verdienen, die ich in sichere Anlagen investiere, mit guten Dividenden, nichts Übertriebenes, aber eine lan g same, stetige Einkommensverbesserung. Ich meine, schließlich muß ich von diesen Dividenden die nächsten fünf- bis zehntausend Jahre leben. Somit bin ich finanz i ell unabhängig. Was als nächstes? Wie wär’s mit zehn Jahren voller Ausschweifungen? Warum nicht? Mit g e nügend Geld und Selbstvertrauen kann man sich jede Frau auf der Welt anlachen, nicht wahr? Jede Woche werde ich Margo und ein Dutzend von ihrer Sorte um mich haben. Ich habe ein Recht darauf. Ein bißchen der Begierde nachgeben, klar; sicher, es ist nicht intellekt u ell, und wichtig ist es auch nicht, aber das Bumsen muß auch seinen Platz in einem allseitig abgerundeten Leben haben. Nun gut, Zaster und Weiber. Danach werde ich mich um mein geistiges Wohlergehen bemühen. Fün f zehn Jahre in ein Trappistenkloster. Kein Wort werde ich sprechen; ich werde meditieren und Gedichte schreiben, ich werde versuchen, Gott nahezukommen, ich werde das Wesen des Universums durchdringen. Vielleicht besser zwanzig Jahre. Die Seele läutern, sie reinigen, sie in sphärische Höhen aufsteigen lassen. Dann habe ich etwas aus mir gemacht und werde mich dem Bodybuilding widmen. Acht Jahre lang ständig an mir arbeiten. Eli, der Muskelmann. Nicht mehr der Siebenundneunzig-Pfund-Schwächling . Ich werde surfen, Ski fahren, die East-Village-Indian-Ringer-Meisterschaften gewinnen. Als nächstes? Die Musik. Ich habe mich nie so intensiv mit Musik beschäftigen können, wie ich das immer wollte. Ich werde mich in Juilliard einschreiben, für vier Jahre, der ganze Kram, werde in das Innere der Musikkunst eindringen, Beehovens späte Quartette erfassen, das wohltemperierte Klavier, Berg, Schoenberg, Xenakis, die härteren Sachen, und ich werde die Techniken, die ich im Kloster erlernt habe, dazu benutzen, um in das Herz des Klanguniversums vorzustoßen. Vielleicht werde ich auch komponieren. Vielleicht werde ich kritische Essays schreiben. Oder sogar Aufführungen inszenieren. Eli Steinfeld mit einer Bach-Reihe in der Carnegie Hall. Fünfzehn Jahre Musik, oder? Damit wären die ersten sechzig Jahre der Unsterblichkeit abgedeckt. Und was dann? Mittlerweile werden wir schon ziemlich weit im einundzwanzigsten Jahrhundert stehen. Also werde ich mich in der Welt umsehen. Auf Wanderschaft wie Bud d ha, zu Fuß von Land zu Land ziehen, das Haar lang wachsen lassen, gelbe Gewänder tragen, einen Betteltopf dabei und einmal im Monat den Scheck beim American Express in Rangun, Katmandu, Djakarta oder Singapur abholen. Die Menschheit anhand ihres Bauches entde c ken, jede Speise einnehmen, Ameisen in Curry, gebrat e ne Hoden, und mit Frauen aller Rassen und Bekenntnisse schlafen, in undichten Hütten wohnen, in Iglus, Zelten und auf Hausbooten. Zwanzig Jahre darauf verwenden, und ich habe einen guten Überblick über die Komplexität der menschlichen Kultur. Dann, glaube ich, werde ich mich meiner eigentlichen Vorliebe zuwenden, der Li n guistik, der Philologie, und mich der Karriere zuführen, die ich im Moment aufgegeben habe. In dreißig Jahren wird mir vielleicht die endgültige Zusammenstellung der unregelmäßigen Verben in den indoeuropäischen Spr a chen gelingen, oder ich werde das Geheimnis des Etru s kischen enträtseln oder den kompletten Bestand an ugar i tischer Dichtung übersetzen. Kommt drauf an, was mich gerade am meisten interessiert. Danach werde ich ein Homosexueller. Wenn man das ewige Leben zur Verf ü gung hat, sollte man alles mindestens einmal ausprobiert haben, nicht wahr, und Ned
Weitere Kostenlose Bücher