Bruderschaft der Unsterblichen
behauptet, das Leben eines Schwulen sei ein gutes Leben. Ich persönlich habe ja bi s her immer Mädchen vorgezogen, rein intuitiv und i n stinktiv – sie sind sanfter, anschmiegsamer und ang e nehmer zu berühren –, aber irgendwann muß ich auch einmal herausfinden, was das eigene Geschlecht zu bi e ten hat. Sub specie aetemitatis, was sollte es schon au s machen, ob ich den Schwanz in dieses oder in jenes Loch stecke? Wenn ich dann zum Heterosexuellen zurückg e kehrt bin, werde ich zum Mars fahren. Um diese Zeit dürfte man ungefähr das Jahr 2100 schreiben; wir werden den Mars kolonialisiert haben, da bin ich mir ganz sicher. Zwölf Jahre Mars. Ich werde mit meinen Händen arbe i ten, alles, was ein Pionier eben zu tun hat. Die nächsten zwanzig Jahre gehören der Literatur, zehn, um alles zu lesen, was bisher an Lohnenswertem geschrieben wurde, und zehn, um einen Roman zu schreiben, der gleichb e rechtigt neben dem Besten von Faulkner, Dostojewski, Joyce und Proust stehen kann. Warum sollte ich nicht fähig sein, es ihnen gleichzutun? Zu der Zeit werde ich kein dummer Junge mehr sein: Einhundertfünfzig Jahre ausgefülltes Leben liegen dann hinter mir, mit der tie f sten und breitesten Selbsterziehung, die je ein Mensch genossen hat, und ich werde immer noch über die Kraft der Jugend verfügen. Somit werde ich mich auf diese Aufgabe stürzen, eine Seite pro Tag schreiben, eine Seite pro Woche, fünf Jahre Planung, um das Gerüst des R o mans zu erstellen, bevor ich ein Wort niederschreibe. Damit müßte ich eigentlich in der Lage sein, nun, ein unsterbliches Meisterwerk zu schaffen. Natürlich unter einem Pseudonym. Das wird sowieso noch ein ganz b e sonderes Problem werden, alle achtzig oder neunzig Ja h re meine Identität zu wechseln. Sogar in einer leuchte n den futuristischen Zukunft werden die Menschen wah r scheinlich jemandem mit Mißtrauen begegnen, der ei n fach nicht stirbt. Langlebigkeit ist eine Sache, Unster b lichkeit eine ganz andere. Ich muß versuchen, irgendwie mein Vermögen mir selbst zu überschreiben, meine neue Identität so wählen, daß ich der Erbe meiner vorherigen bin. Ich werde dauernd verschwinden müssen und mein Aussehen verändern. Mein Haar färben, Bärte ankleben und abnehmen, Schnurrbärte, Perücken, Kontaktlinsen. Und darauf achten, nicht in die Verwaltungsmaschinerie zu geraten: Sobald meine Fingerabdrücke einmal in den Zentralcomputer geraten sind, werde ich Schwierigkeiten haben. Welche Geburtsurkunden werde ich vorweisen können, jedesmal, wenn ich erneut auf der Welt ersche i ne? Darüber muß ich mir Gedanken machen. Wenn man schon schlau genug ist, ewig zu leben, dann wird man auch schlau genug sein, es mit der Bürokratie aufzune h men. Und wenn ich mich verliebe? Heiraten, Kinder h a ben, meiner Frau dabei zusehen, wie sie verwelkt und alt wird, meinen Kindern dabei zusehen, wie auch sie alt werden, während ich auf ewig jung und gesund bleibe? Besser, ich heirate nie oder versuche es nur einmal der Erfahrung wegen, zehn, höchstens fünfzehn Jahre lang und dann die Scheidung, auch wenn ich sie noch immer liebe, um späteren Komplikationen zu entgehen. Nun, das bleibt abzuwarten. Wo war ich stehengeblieben? Weiter im zweiundzwanzigsten Jahrhundert, während ich die Jahrzehnte nach eigenem Gusto einteile. Zehn Jahre als Lama in Tibet. Zehn Jahre als irischer Fischer, falls es zu dieser Zeit noch Fische gibt. Zwölf Jahre als ehre n wertes Mitglied des Senats der Vereinigten Staaten. Dann sollte ich mich den Naturwissenschaften zuwenden, dem am meisten vernachlässigten Gebiet meines Lebens. Ich werde in der Lage sein, damit zu Rande zu kommen, nachdem ich die erforderliche Menge an Geduld und Fleiß aufzubringen gelernt habe Physik, Mathematik, was immer mir schwerfällt. Ich widme den Naturwissenscha f ten vierzig Jahre. Ich habe vor, die gleiche Bedeutung wie Einstein und Newton zu erlangen, eine richtige Ka r riere, in der ich als ein Mensch von überragendem Inte l lekt fungiere. Und dann? Ich könnte vielleicht ins Sch ä delhaus zurückkehren, um zu sehen, was Bruder Antony und der Rest seiner Truppe inzwischen so gemacht h a ben. Fünf Jahre in der Wüste. Dann wieder hinaus, hi n aus in die Welt. Wie mag die Welt dann aussehen? Ganz neue Berufe werden sie anbieten können, Dinge, die heutzutage noch gar nicht erfunden worden sind: Ich könnte zwanzig Jahre damit verbringen, als Dematerial i sierungs-Experte zu arbeiten, fünfzehn in der polyvale n ten
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