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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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aus dem Hintergrund, bi t te, Maestro: Mors stupebit et natura, cum resurget cre a tura, judicandi responsura. Tod und Leben stehen ve r wundert da, wenn alle Schöpfung wiederaufersteht, um dem letzten Richter zu antworten. Um dem letzten Ric h ter zu antworten. Und bist du unser letzter Richter, Br u der Antony? Quando Judex est venturus, euneta stricte discussurus! Wird er niemals sprechen? Müssen wir auf ewig zwischen Geburt und Tod verbleiben, Gebärmutter und Grab? Ah! Sie befolgen die Schrift! Einer der bede u tungsloseren Brüder, ohne Anhänger, geht zu einer N i sche in der Wand und nimmt ein schmales Buch heraus, vorzüglich in glitzerndes rotes Saffianleder eingebunden, und reicht es Bruder Antony. Ohne daß es erwähnt wird, weiß ich, um welches Buch es sich handeln muß. Liber scriptus proferetur, in quo totum continetur. Der g e schriebene Text wird gebracht werden, in dem alles en t halten ist. Unde mundus judicetur. Sobald es an der Zeit ist, die Welt zu richten. Was soll ich sagen? Du König von unermeßlicher Majestät, der jene erretten wird, die gerettet werden sollen, rette mich, o Born der Gnade! Bruder Antony sah mich direkt an. „Das Buch der Sch ä del“, sagte er sanft, ruhig, volltönend, „findet in diesen Tagen nur wenige Leser. Wie konnte es geschehen, daß ihr ihm begegnet seid?“
    „Ein altes Manuskript“, sagte ich, „verlegt und verge s sen in einer Universitätsbibliothek. Durch mein Studium … eine zufällige Entdeckung … die Neugierde verführte mich zur Übersetzung …“
    Der Bruder nickte. „Und dann seid ihr zu uns geko m men? Wie geschah das?“
    „Ein Zeitungsartikel“, antwortete ich. „Etwas über die Abbildungen, den Symbolismus – wir wollten es einmal ausprobieren, hatten gerade Ferien und dachten, fahren wir doch mal hin und sehen nach, ob … ob …“
    „Ja“, sagte Bruder Antony, ohne weitere Fragen zu stellen. Ein ruhiges Lächeln. Er sah mir gerade ins G e sicht, wartete offensichtlich darauf, daß ich fortfuhr. Wir waren vier. Wir hatten das Buch der Schädel gelesen, und wir waren vier. Ein formeller Antrag schien jetzt angebracht. Exaudi orationem meam, ad te omnis caro ve niet. Mir wollte kein Wort über die Lippen kommen. Ich stand stumm in diesem unbegrenzten Ansturm des Schweigens und hoffte, daß Ned die Worte herauspressen würde, die mir in der Kehle steckten, daß Oliver sie s a gen würde, vielleicht sogar Timothy. Bruder Antony wartete. Er wartete auf mich, er würde, wenn nötig, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten, bis zu den Posa u nen des Jüngsten Gerichts. Rede! Rede! Rede!
    Ich redete und hörte meine eigene Stimme, als würde ich als Zuhörer daneben stehen, als würde ich mich auf einem Tonband hören. „Wir vier die wir das Buch der Schädel gelesen haben, die wir das Buch der Schädel gelesen und verstanden haben – wünschen gehorsamst … wünschen uns der Prüfung zu stellen. Wir vier … wir vier bieten uns an … als Kandidaten … wir vier bieten uns als …“ Ich stockte. War meine Übersetzung korrekt? Würde er meine Übersetzung verstehen? „Als ein Fruchtboden“, sagte ich.
    „Als ein Fruchtboden“, sagte Bruder Antony.
    „Ein Fruchtboden. Ein Fruchtboden. Ein Fruchtb o den“, sagten die Brüder im Chor.
    Wie belebt die Szene jetzt geworden war! Ja, plötzlich sang ich den Tenor in Turandot, schrie es heraus, nach den fatalen Geheimnissen befragt zu werden. Auf wide r sinnige Weise schien die Szene theatralisch, ein albernes und übertriebenes Schauspielstückchen, das entgegen aller Vernunft in einer Welt ablief, in der Signale von Satelliten aus dem Orbit empfangen wurden, langhaarige Burschen hinter Pot her waren und die Schlagstöcke der Gestapo-Polizisten in fünfzig amerikanischen Städten die Köpfe von Demonstranten zerschmetterten. Wie konnten wir hier stehen und Totenschädel und Fruchtböden b e singen? Aber noch merkwürdigere Merkwürdigkeiten standen uns bevor. Unheilschwanger nickte Bruder A n tony dem zu, der ihm das Buch gebracht hatte, und der verschwand wiederum in der Nische. Jetzt entnahm er ihr eine massive, sorgfältig auf Glanz gebrachte Steinmaske; er reichte sie Bruder Antony, der sie sich übers Gesicht stülpte; da trat einer der Brüder mit Anhänger nach vo r ne, um am Hinterkopf eine Schnur festzubinden. Die Maske bedeckte Bruder Antonys Gesicht von der Obe r lippe ab aufwärts. Sie verlieh ihm das Aussehen eines lebenden Totenschädels; Antonys kühle, klare Augen

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