Bruderschaft der Unsterblichen
reinigen und betreuen, und ich vermute, daß es sich hauptsächlich um exotische Pflanzen handelt. Reis, Bohnen, Korn und darmblähende Früchte wie zum Beispiel Zwiebeln sind hier verboten. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Weizen hier nur am Rande geduldet, als etwas angesehen wird, daß zwar ohne Wert, aber irgendwie doch notwe n dig ist: Er wird erst strengstens fünfmal gesiebt und zehnmal gemahlen, begleitet von besonderen Meditati o nen, bevor man daraus Brot bäckt. Die Brüder verzehren kein Fleisch, und wir dürfen das auch nicht, solange wir hier verweilen. Fleisch scheint hier als Quelle destrukt i ver Gelüste angesehen zu werden. Salz ist verbannt. Pfe f fer ist verboten, genauer gesagt, der schwarze Pfeffer. Chilipfeffer dagegen liegt innerhalb des Erlaubten, und die Brüder sind ganz verrückt danach und verzehren ihn auf vielfältige Weise wie die Mexikaner – als frischen Pfeffer, getrocknete Schoten, Pulver, eingemacht etc. etc. etc. Das Zeugs, das hier gepflanzt wird, ist sehr scharf. Eli und ich sind Gewürz-Freaks, und wir benutzen den Chili sehr großzügig, auch wenn er uns manchmal die Tränen in die Augen treibt. Aber Timothy und Oliver, die milde Kost gewohnt sind, kommen damit überhaupt nicht zurecht. Ebenso beliebt sind hier Eier. Draußen steht ein Hühnerstall voll fleißiger Hennen, und in allen mögl i chen Formen erscheinen Eier dreimal am Tag auf dem Tisch. Die Brüder stellen auch einige milde Kräuterliköre her, unter der Aufsicht von Bruder Maurice, dem Desti l lierbruder.
Nach der Stunde Feldarbeit ruft uns ein Gong zusa m men; wir begeben uns auf unsere Zimmer, um erneut zu baden, und dann ist Frühstückszeit. Die Mahlzeiten we r den in einem der Versammlungsräume aufgetischt, auf einer eleganten Steinbank. Die Speisenfolge wird nach geheimen Prinzipien zusammengestellt, in die man uns bislang noch nicht eingeweiht hat; anscheinend haben Farbe und Form dessen, was wir zu uns nehmen, gena u soviel mit der Planung der Zusammenstellung wie der Nährwert zu tun. Wir essen Eier, Suppen, Brot, Gemüs e brei und so weiter, die nach Belieben mit Chili verfeinert werden; zu trinken gibt es Wasser, eine Art Weizenbier und abends Gewürzlikör, und nichts anderes. Oliver, der Steaks gewohnt ist, beklagte sich sehr häufig über den Fleischmangel. Ich habe es zuerst auch vermißt, aber mittlerweile habe ich mich völlig an diese merkwürdige Kost gewöhnt, Eli übrigens auch. Timothy murmelt nur etwas in sich hinein und kippt einen Likör nach dem a n deren. Mittags am dritten Tag hatte er zuviel Bier getru n ken und bekotzte den wunderbaren Schieferboden. Br u der Franz wartete, bis er fertig war, reichte dann ein Tuch und befahl ihm wortlos, seinen Dreck wegzumachen. Die Brüder mögen Timothy nicht, vielleicht fürchten sie ihn auch, denn er ist mindestens einen Kopf größer als sie alle und übertrifft den schwersten von ihnen sicher um neunzig Pfund. Den Rest von uns aber lieben sie, wie ich bereits erwähnte, und auf eine abstrakte Weise lieben sie auch Timothy.
Nach dem Frühstück steht die Morgenmeditation bei Bruder Antony an. Er spricht kaum, sondern bringt uns lediglich mit ein paar Worten den geistigen Zusamme n hang nahe. Wir versammeln uns im anderen langen Fl ü gel des Gebäudes, der dem Schlafraumflügel gegenübe r liegt. Dieser hier dient zur Gänze klösterlichen Funkti o nen. Statt der Schlafräume findet man hier Kapellen, in s gesamt achtzehn, vermutlich korrespondierend mit den Achtzehn Mysterien; die Kapellen sind genauso beei n druckend nüchtern wie die anderen Räume, und sie en t halten eine Reihe von überwältigenden künstlerischen Meisterwerken. Die meisten sind präkolumbianisch, aber einige von den Kelchen und Bildhauerarbeiten sehen sehr nach europäischem Mittelalter aus, und es gibt einige seltsame Objekte (aus Elfenbein? Knochen? Stein?), die für mich absolut unidentifizierbar sind. Auf dieser Seite des Gebäudes befindet sich auch eine umfangreiche B i bliothek, die vollgestopft ist mit Büchern und Raritäten, wenn der Blick über die Regale streift; denn im Moment ist es uns verboten, diesen Raum zu betreten, obwohl seine Tür nie verschlossen wird. Bruder Antony trifft sich mit uns in der Kapelle, die dem Versammlungstrakt am nächsten liegt. Bis auf die allgegenwärtige Tote n schädelmaske ist sie völlig leer. Er kniet nieder; wir knien nieder; er legt den kleinen Jadeanhänger von seiner Brust ab, der, was nicht überrascht, die
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