Bruderschaft der Unsterblichen
kratzt, und ich erkannte, daß diese Beichte ihm zu schaffen machte. Nach langer Zeit kam die alte Jesu i tenerziehung in ihm wieder zum Vorschein. Er wollte sein Geheimnis verraten, und ich sollte das Ziel dieses Bekenntnisses sein. Plötzlich wurde mir bei dem G e danken, hier sitzen und einer schwülen Schwuleng e schichte zuhören zu müssen, ganz übel. Warum, zum Teufel, sollte ich hier seinen schlüpfrigen Bekenntni s sen zuhören? Wie kam ich überhaupt dazu? Ich sagte: „Willst du mir wirklich das große Geheimnis deines Lebens erzählen?“
Er wirkte überrascht. „Aber natürlich will ich das.“
„Mußt du?“
„Ob ich muß? Timothy, das wird von uns erwartet. Und davon abgesehen, will ich es auch.“ Ja, er wollte wirklich. Er gierte, es kribbelte ihn, er wirkte erhitzt und geladen. „Was ist los mit dir, Timothy? Hast du kein I n teresse an meinem Privatleben?“
„Nein.“
„Na, na, laß nichts Menschliches dir fremd sein.“
„Ich will es nicht hören. Und ich hab’ das auch nicht nötig.“
„Zu schade, Mann. Ich muß es nämlich erzählen. Br u der Javier hat gesagt, daß das Abladen meiner Schuld notwendig für die Verlängerung meines irdischen D a seins ist, und deshalb werde ich es herauslassen, Mann. Ich werde es herauslassen.“
„Wenn es unbedingt sein muß“, sagte ich resignierend.
„Mach es dir bequem, Timothy. Sperr die Ohren weit auf. Dir bleibt gar nichts anderes übrig, als zuzuhören.“
Und ich hörte zu. Ned ist ein seelischer Exhibitionist, wie viele Leute von seiner Sorte. Er möchte sich in Selbstbeschuldigungen und intimen Enthüllungen suhlen. Er erzählte seine Geschichte dramaturgisch sehr g e schickt, setzte einzelne Details wie ein Kurzgeschichte n autor ein, der er ja vorgab zu sein; betonte dieses, kürzte jenes. Was er mir erzählte, war genau das , was ich erwa r tet hatte: eine schmutzige Schwulenstory. „Das geschah“, sagte er, „noch bevor wir uns kennengelernt haben, im Frühling unseres ersten Studienjahres, als ich noch nicht ganz ach t zehn war. Ich wohnte in einem Apartment a u ßerhalb des Uni-Geländes mit zwei anderen Männern zusammen.“ Natürlich waren die beiden ebenfalls schwul. Und eigen t lich war es ihr Apartment. Ned war nach den zweiten Trimesterferien zu ihnen gezogen. Sie waren acht oder zehn Jahre älter als Ned und lebten b e rei ts seit langer Zeit im Schwulen äquivalent einer Ehe zusammen. Der eine war grobschlächtig, maskulin und der dominante Teil, der Assistent eines Professors für französische Literatur und au ßerdem ein ungestümer Sportler – sein Hobby war das Bergsteigen –, der andere sah eher wie eine stereotype Tunte aus, zerbrechlich und ätherisch, ziemlich weibisch, ein weicher, in sich gekeh r ter Poet, der die meiste Zeit zu Hause blieb, den Haushalt versorgte, die Topfpflanzen begoß, und wie ich vermute, hat er gestrickt und gehäkelt.
Nun jedenfalls, die beiden Schwulen lebten fröhlich zusammen und trafen eines Tages Ned in einer Schw u lenbar. Sie fanden heraus, daß es Ned dort nicht gefiel, wo er gerade wohnte, und so luden sie ihn ein, zu ihnen zu ziehen. Allerdings galt dieses Angebot nur für die U n terbringung: Ned bekam sein eigenes Zimmer, er mußte seinen Anteil zur Miete und für Lebensmittel beitragen, und es gab keinen sexuellen Verkehr zu den beiden, die es unter sich recht vergnüglich trieben. Einen Monat oder zwei funktionierte die Sache. Aber wie ich annehme, ist Treue weder eine Eigenschaft der Schwulen noch der Normalen. Und Neds Anwesenheit in diesem Haushalt wurde ein Störfaktor, genauso wie die Anwesenheit eines achtzehnjährigen, gutaussehenden Mädchens eine norm a le Ehe belasten würde. „Bewußt oder unbewußt“, sagte Ned, „stellte ich eine außerordentliche Verlockung dar. Ich bin nackt in der Wohnung herumgelaufen, habe mit ihnen geflirtet und war auch sonst recht keß.“ Spannu n gen entstanden, und das Unvermeidliche geschah. Eines Tages zankte sich das Pärchen – möglicherweise sogar über Ned, er war sich da nicht ganz sicher –, und der Maskuline lief aus der Wohnung. Der Feminine kam ganz außer sich zu Ned, um Trost zu finden. Er tröstete „sie“, indem er „sie“ mit ins Bett nahm. Beide fühlten sich danach schuldig, aber das hinderte sie nicht, es ein i ge Tage später wieder miteinander zu treiben. Schließlich wurde es ein regelmäßiges Verhältnis zwischen Ned und diesem Poeten, der Julian hieß. Inzwischen begann auch der
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