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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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Als sie mich wieder ansah, lag darin eine große Müdigkeit.
    »Lauren«, sagte ich. »Margo hat Nora wahrscheinlich mehr erzählt, als Nora dir gegenüber zugegeben hat. Margo hat ihr die Originalaufnahme vorgespielt. Dann ist Nora zu deiner Mutter gefahren und hat ihr gesagt, dass ihr eigener Mann ihre Tochter vergewaltigt hat und dass sie das Ergebnis ist. Vielleicht nur, um zu sehen, wie sie reagiert. Vielleicht wollte sie Geld. Vielleicht etwas anderes.«
    Ich legte das Band in das Aufnahmegerät.
    Versteinert sah sie mir zu. »Tu das nicht«, sagte sie.
    Ich drückte auf Play.
    Wir hörten sekundenlang zu, dann riss sie mir das Gerät aus der Hand und warf es auf den Tisch.
    »Es war nicht mein Stiefvater«, sagte sie. »Er war streng, und er war schnell aufgebracht. Aber er hat mir nie etwas angetan.«
    »Dann war es Hinner.«
    Sie sank in sich zusammen.
    »Bitte geh.«
    Ich stand auf. Ich hatte keine Beweise, nur eine Frau, die zusammensank.
    »Gib Jan die Figur und grüß ihn von Max«, sagte ich.
    Laurens Schultern zuckten.

51
    Am späten Nachmittag rief Konrad mich an.
    »Heute Nacht um zwei, alte Stelle«, sagte er, und ich antwortete: »Okay, alte Stelle.« Die Verbindung zwischen Konrad und Siggi Meier interessierte mich in dem Augenblick nur am Rande. Ich wollte an die Unterlagen von Bea Rudolf. Das ging nur mit Konrads Hilfe. Alles andere würde ich danach überdenken.
    Kurz vor zwei hockte ich im Schutz der alten Buchenhecke dicht an der Krankenhausmauer, die den Klinikpark begrenzte. Von gegenüber schien schwach das Licht der Straßenlaterne auf die Autos, die in den Parkbuchten standen. Die Kälte kroch durch die dicken Profilsohlen meiner Stiefel und die Beine entlang und begegnete jener Hundskälte, die von den Händen aus – was nutzten denn auch schon Wollhandschuhe? – durch meinen Körper wanderte.
    Wenn Konrad nicht pünktlich kam, würde er nur noch einen unbrauchbaren Eiszapfen vorfinden. Ich umklammerte meine Knie mit den Armen, presste mein Gesicht gegen die Kälte in die Armbeuge und fragte mich, was ich hier eigentlich tat.
    Konrad kam zum Glück pünktlich. Ich hatte ihn nicht gehört, und so stupste er mich mit der Stiefelspitze an. Erleichtert schaute ich auf. Ich hatte erwartet, dass er eine schwarze Maske tragen würde. Er trug keine und lachte leise, als ich ihn danach fragte. Dann hielt er mir die Hände entgegen. Sie steckten in Gärtnerhandschuhen aus festem Leder. Ich zeigte ihm Eddies alte selbstgestrickte Wollhandschuhe.
    »Wenn Sie uns erwischen, ist eine Maske kontraproduktiv. Dann sind wir fällig. Ohne Maske können wir behaupten, wir hätten uns verlaufen und würden die Notaufnahme suchen.«
    Das leuchtete mir ein.
    »Bist du bereit?«, fragte Konrad, und ich nickte, obwohl ich alles andere als bereit war.
    »Na dann«, sagte Konrad und zerteilte mit den Armen die dichten Zweige über seinem Kopf. Schnee fiel herunter, und ich zog den Kopf ein. Er setzte einen Fuß in eine Astgabelung, schob ihn vor und zurück für einen stabilen Halt und zerteilte die Äste über sich. Nachtgrölend brachen ein paar gefrorene Zweige.
    Ich lauschte angestrengt. Bei der geringsten Bewegung auf der Straße würde ich türmen. Das stand fest.
    Konrad stieg auf den nächsten Ast und schwang sich von dort aus auf die Mauer, die etwa zweieinhalb Meter hoch war. Er hielt von oben die Zweige für mich auseinander, und ich trat mit einem Fuß in die erste Astgabel. Es war glatt, ich rutschte nach vorn und griff panisch in die eisüberzogenen Zweige vor mir. Konrad packte mich am Kragen.
    Er sagte mir, was ich tun sollte, und ich kroch zur nächsten Astgabel nach oben. Er ergriff meine Hand und zog mich zu sich auf die Mauer, während ich mich von unten abstieß.
    »Hast du deinen Fotoapparat dabei?«, flüsterte er. Ich wischte mir mit den Wollhandschuhen den Schnee aus dem Gesicht und klopfte auf meine Jackentasche.
    »Ich auch«, sagte er, setzte sich auf, stieß sich mit den Händen ab und landete unten im Schnee. Er hielt die Arme in die Höhe, und ich sprang hinein. Er zeigte auf die Rückseite des Wirtschaftsgebäudes mit der Wäscherei und der Küche. Es gab eine Art Tunnelsystem, das die einzelnen Gebäude mit der Küche verband. Konrad glaubte, dass wir so die besten Chancen hätten, unbemerkt in den neuen Krankenhaustrakt zu gelangen, der gleich neben dem Pförtnerhaus lag.
    Geduckt rannten wir zu einem Notausgang hinüber. Im Schein einer kleinen grünen Lampe blieb Konrad

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