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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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dem Unfall noch einmal gesehen?«, wiederholte ich störrisch.
    Mein Vater funkelte mich an. »Ich war in der Praxis. Es war Mittwochnachmittag. Deine Mutter hatte mich angerufen und gebeten zu kommen. Ich war also nicht hier, als es passierte. Das weißt du aber alles.«
    Er warf einen Blick auf die Uhr.
    »Was ist?«, fragte ich. »Hast du ihn nach diesem Nachmittag noch einmal gesehen?«
    »Nein. Niemand hat ihn je wiedergesehen.«
    »Also kannst du gar nicht wissen, ob Kortner lügt oder nicht«, sagte ich.
    »Warum sollte Eddie behaupten, dass Leo Charles erschossen hat, wenn es nicht so war?«
    »Wie wäre es mit Selbstschutz?«
    Mein Vater sah mich an. »Du sitzt in zu vielen Gerichtssälen, mein Kind. Du hast mit zu viel Abschaum der Gesellschaft zu tun. Denk drüber nach. Wir müssen jetzt jedenfalls zur Polizei.«
    Sein Ton duldete keinen Widerspruch, als wäre ich plötzlich wieder ein kleines Mädchen. Das gefiel mir nicht.
    »Sagt wer?« Ich stand auf und ging zur Spüle.
    »Kortner hat angerufen, kurz bevor du gekommen bist. Er bat mich, dich sofort zum Revier zu bringen, wenn du auftauchst.«
    »Aha.«
    »Er sagte, auf dem Revier sei die Hölle los, seitdem du Margos Leiche gefunden hast. Und dass es da jemanden gibt, der nur darauf wartet, dir und Leo etwas anzuhängen. Und egal, welche Motive Kortner hat, du musst da hin.«
    »Hat er wörtlich gesagt, jemand will mir etwas anhängen?«
    Adam nickte. »Außerdem bittet er dringend um Diskretion. Niemand sollte von eurem Gespräch erfahren.«
    »Dringend?«
    »Das sagte er.«
    »Aber ich gehe allein.«

26
    Der Mann lehnte an der Wand und schaute abwesend aus dem Fenster, als ich den Konferenzraum der Solthavener Polizeidienststelle betrat.
    »Hübsche kleine Fachwerkstadt, in der Sie hier aufgewachsen sind. Richtige Idylle, nicht wahr?«, fragte er, als er sich mir zuwandte.
    Ich ignorierte seine Frage. »Sie sind nicht im Haus von Margo Swann?«
    Er antwortete ebenfalls nicht. »Was wollten Sie dort?«, fragte er stattdessen.
    »Ich hab nach ihr gesehen. Das macht man in einer Kleinstadt nun mal so. Ich traf sie gestern Abend am Grab meiner Mutter. Es ging ihr schlecht, und sie hatte Asthma.«
    Der Mann zog kaum merklich die Brauen hoch. Natürlich glaubte er mir nicht.
    »Wirklich beeindruckend dieser Blick von hier oben.« Er schaute wieder aus dem Fenster.
    »Ja, altes Backsteingemäuer. Neogotik. Gebaut um 1840. Seit 1866 war hier ein Ulanen-Regiment stationiert, seit 1919 residiert hier die örtliche Polizei.«
    »Interessant, was Sie so alles wissen.« Der Mann schob seine massige Gestalt von der Wand weg.
    Er atmete schwer, sein Gesicht war von ungesunder roter Farbe, und er versprühte eine merkwürdige Nervosität, als er sich vor mir aufbaute.
    »Kriminalhauptkommissar Carsten Unruh.« Er reichte mir eine überraschend knorrige Hand.
    »Ich weiß, wer Sie sind«, erwiderte ich.
    »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
    »Das dachte ich mir«, sagte ich.
    »Möglichst ungestört.«
    Ich machte eine ausladende Handbewegung. »Es ist Ihr Reich.«
    Ich setzte mich an den ovalen Konferenztisch, an den wohl gut und gerne 20 Leute passten, und bemühte mich um ein Lächeln.
    Carsten Unruh ließ sich mir gegenüber nieder.
    »Schön, dass es Sie amüsiert«, sagte er.
    »Und gleich wird mir das Lachen vergehen.«
    »Davon gehe ich aus.« Unruh zog ein Foto aus der Innentasche seines Jacketts und reichte es mir über den Tisch. Ich nahm es.
    »Kennen Sie sie?«
    Die Frau war jung. Rundes Gesicht, um die 20, lachend, braune Haare, braune Augen, Grübchen in den Wangen. Ich vermutete, es handelte sich bei ihr um Laurens zur Adoption freigegebene Tochter. Doch ich antwortete: »Nein.«
    Er erzählte mir, was ich bereits von Felix Kortner wusste. Die Frau war in Christa Heineckens Scheune ermordet worden.
    »Hat die Frau einen Namen?«, fragte ich schließlich.
    »Nora Schnitter. Sie war die Tochter eines Hamburger Lehrers, dessen Frau ein Pflegefall ist. Er war gestern Abend hier und hat sie identifiziert.«
    »Und was habe ich damit zu tun?«
    »Wann haben Sie Ihren Bruder das letzte Mal gesehen?«
    Unruhs hellblaue Augen fraßen sich in meine, als wollte er mein Gehirn ausweiden. Ich erwiderte den Blick, während ich über eine Antwort nachsann.
    »Es ist lange her«, sagte ich etwas zu spät.
    »Vielleicht auf der Beerdigung Ihrer Mutter?«
    »Was hat mein Bruder damit zu tun?«
    Unruh maß mich mit einem herablassenden Lächeln, das

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