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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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ich vermutete, nicht wusste. Also schwieg ich und wartete ab.
    »Es gibt eine ausführliche Akte«, sagte Unruh. »Noch aus der Zeit, als er wegen Einbruch vor dem Jugendgericht stand. Darin steht, dass er schon als Schuljunge einem drei Jahre älteren Jungen das Handgelenk gebrochen hat. Danach hat er einen alten Trinker zusammengeschlagen.«
    »Der Trinker«, sagte ich, »hat seine Frau vor Leos Augen so verprügelt, dass sie mit gebrochener Nase und einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus kam.« Ich verteidigte ihn immer noch. Ich würde ihn immer verteidigen. Er war mein Bruder.
    »Wie nett von ihm, dass er helfend eingriff. Nur leider lag der Mann danach drei Wochen im Krankenhaus«, sagte Unruh.
    Er hatte Recht. »Ich …« Der Schmerz kam zurück, und ich verlor den Faden.
    Unruh hatte sehr wohl bemerkt, dass es mir nicht gut ging, und fragte, ob ich nicht doch eine Pause wollte. Oder einen Kaffee oder Tee.
    Ich verneinte, und so fuhr er fort: »Ich führe hier keine offizielle Befragung durch, und ich möchte auch Ihren Bruder lediglich fragen, ob er Nora Schnitter und ihre Schwester Vera gekannt hat. Vera war ein Exjunkie und wurde hier vor vier Monaten ebenfalls ermordet.«
    Ich horchte auf. »Hatte er mit Vera auch etwas zu tun?«
    Unruh zuckte die Achseln.
    »Was haben Sie außer der Uhr noch gegen Leo in der Hand? Fingerabdrücke? Haare? DNA? Andere Spuren?«
    Unruh schwieg.
    »Wie wurde Nora Schnitter ermordet?«, fragte ich weiter.
    »Sie wurde erschossen.«
    »Und wann wurde sie getötet?«
    »Gestern. Zwischen eins und drei. Genaueres wissen wir erst nach der Obduktion.«
    »Haben Sie Zeugen, dass mein Bruder gestern bei Christa Heinecken auf dem Hof war?«
    Unruh reagierte nicht.
    »Befragen Sie auch Hinner Heinecken? Oder jeden anderen beliebigen Bürger dieser Stadt?«
    »Hinner Heinecken hat ein Alibi. Also, wo hält sich Ihr Bruder auf?«
    Ich hätte ihm gern etwas Drastisches entgegengeschleudert, doch stattdessen sagte ich nur: »Ich weiß es nicht.«
    Unruh lehnte sich zurück. »Sie sind gestern hierhergefahren?«
    Ich nickte. »Direkt zu Koslowski.«
    »Und was hat er Ihnen erzählt?«
    Ich spielte ein paar Möglichkeiten im Kopf durch und traf dann eine Entscheidung.
    »Koslowski behauptete, es gebe einen Nachahmungstäter. Er glaubt, das sei Leo und er sei wieder da.«
    »Wir wissen, dass er das behauptet«, sagte Unruh.
    »Glauben Sie auch, es war Leo?«
    »Wir ermitteln in jede Richtung«, sagte er ausweichend. »Wir stehen aber erst am Anfang mit unseren Ermittlungen und können niemanden ausschließen.«
    Unruh bedachte mich mit einem dieser strengen Blicke, die Eltern ihren widerspenstigen Kindern zuwerfen. Andere mochte er einschüchtern, mich nicht. Ich war Mutter, ich hatte lange daran gearbeitet, diesen Blick selbst zu perfektionieren.
    »Was wollten Sie bei Margo Swann?«, fragte er schließlich noch einmal.
    Tja, dachte ich, wenn ich das so genau sagen könnte. Antworten auf Fragen. Gewissheit. Doch ich antwortete: »Nach ihr sehen. Das sagte ich Ihnen bereits.«
    »Und was war in dem Tresor?«
    Vielleicht sollte mich die Frage überraschen und mir eine unkontrollierte Reaktion entlocken, doch ich sagte: »Er war offen und leergeräumt.«
    »Also waren Sie in dem Zimmer?«
    »Woher weiß ich es sonst?«
    »Wir brauchen Ihre Fingerabdrücke!«
    »Sie verdächtigen mich doch nicht ernsthaft? Margo war seit Stunden tot, als ich das Haus betrat. Und wissen Sie was? Ihre ganze Ermittlungsakte zu Leo können Sie in den Müll werfen.«
    Unruh beugte sich wieder über den Tisch und schob sein Gesicht so nah an meines heran, dass ich seinen Atem roch.
    »Ich sag Ihnen jetzt mal was«, fauchte er. »Ich hab die ganze Nacht damit zugebracht, in völlig verstaubten, unsystematischen Archiven nach alten Akten zu suchen, sie zu studieren und eins und eins zusammenzuzählen. Und jetzt habe ich die Nase voll und richtig schlechte Laune.«
    Ich schwieg.
    »Erst taucht diese Vera Schnitter in der Stadt auf und will alles über den Tod ihres Vaters Charles Swann wissen«, fauchte er. »Kurz darauf wird sie vergewaltigt und ermordet. Drei Monate später soll ihre Schwester Nora sie identifizieren, und statt nach Hause zurückzufahren, nimmt sie Urlaub und bleibt hier. Ein paar Tage später ist sie ebenfalls tot. Und sie trägt die Uhr Ihres Bruders Leo. Der hat angeblich den leiblichen Vater Charles Swann umgebracht. Wie kommt diese junge Frau zu der Uhr, die ihre Eltern nie zuvor an ihr

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