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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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anzeigte, dass er diese Art Fragen gewohnt war und nichts auf sie gab. »Ich bitte Sie, Frau Lambert, würden Sie einfach antworten? Wann haben Sie Ihren Bruder das letzte Mal gesehen?«
    Der Mann fing an, mir auf die Nerven zu gehen. »Wie alle«, sagte ich. »1989. An dem Tag, als er seinen besten Freund erschossen haben soll.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich. Aber was hat er damit zu tun?«
    Unruh zog einen braunen Din-A4-Umschlag zu sich heran. Ich hatte ihn nicht beachtet, als ich mich an den Tisch gesetzt hatte. Irgendjemand vergaß bei Konferenzen immer irgendetwas auf dem Tisch. Protokolle, Fotos, Fotokopien oder andere Unterlagen.
    Unruh zog einen kleinen durchsichtigen Plastikbeutel hervor, in dem eine Armbanduhr lag. Er schob mir den Beutel über den Tisch zu.
    Es war eine rechteckige goldene Herrenuhr aus den 1920er Jahren mit kleinen Brillanten auf den Ziffern drei, sechs und neun. Der Brillant auf der Zwölf fehlte. Er fehlte schon lange.
    »Wir haben sie am Tatort gefunden.«
    Mein Unterleib fühlte sich an, als bekäme er einen Tritt. Man wollte nach Luft schnappen, tat es aber nicht, weil man vor Schmerz nicht konnte.
    Die Uhr war ein Familienerbstück, sie war schon von meinem Großvater auf meinen Vater übergegangen. Der Diamant auf der Zwölf fehlte, seitdem mein Vater bei einem Ausflug im Wald einen Fahrradunfall gehabt hatte. Deckglas und Diamant waren abgesprungen und trotz anhaltender Suche unter all dem Laub, Gras und Farn nicht mehr auffindbar. Zu Leos achtzehntem Geburtstag hatte mein Vater das Deckglas ersetzen lassen und ihm die Uhr ohne den zwölfer Diamanten geschenkt. Sie war Leos ganzer Stolz gewesen, und er hatte sie tagein, tagaus getragen.
    »Das ist die Uhr Ihres Bruders.«
    Unruh drehte sie um. Ich wusste, was auf der Rückseite eingraviert war. »Für Leo. In Liebe. Dein Vater.«
    Ein erneuter Schmerz, so rasch und aggressiv wie ein Stromschlag, durchstach meinen Unterleib, und ich war wohl blass geworden, denn Unruh fragte mich mit fast väterlicher Besorgnis, ob mir nicht gut sei.
    Dankbar für seine Aufmerksamkeit nickte ich, fragte nach der Toilette und sprang auf.
    »Dritte Tür rechts«, rief er mir nach.

27
    Kaltes Wasser lief mir über die Arme. Ich befeuchtete vorsichtig das Gesicht und vermied dabei, den Kopf vorzubeugen. Wieder zuckte ein Schmerz durch mein Becken und verebbte dann. Ich drehte den Wasserhahn zu und fragte mich, wie die Polizei an Leos Uhr gekommen war und wie ich mich verhalten sollte.
    Als ich den Flur langsam zurückging, öffnete sich am Ende des Gangs eine Tür. Zwei junge Polizisten kamen mir leise miteinander redend entgegen. Auf meiner Höhe sagten sie »Hallo« und schauten dann betreten zur Seite.
    Ich betrat das Konferenzzimmer, wehrte Unruhs Frage nach meinem Befinden und ob wir später weitermachen sollten mit einem »Ist schon okay« ab, setzte mich und fragte, wo genau sie die Uhr gefunden hätten.
    »Meine Kollegen haben sie am Arm der toten Nora Schnitter sichergestellt«, sagte Unruh.
    Ich musste mich zusammenreißen, um die Fassung zu wahren. Seit Leos Flucht hatte meine Mutter diese Uhr tagein, tagaus getragen. Doch meine Mutter war tot.
    »Was bedeutet das?«, fragte ich, während ich schon wieder gegen eine neue Welle Schmerz ankämpfte.
    »Dass Ihr Bruder Nora Schnitter vermutlich kannte und Kontakt zu ihr hatte.«
    »Und was habe ich damit zu tun?« Ich schindete Zeit mit dieser Frage, mehr nicht. Unruh wusste das. Ich sah es in seinem Blick.
    Er maß mich wieder mit diesem herablassenden Lächeln. »Sie sollen uns sagen, wo Ihr Bruder ist.«
    »Damit Sie ihn verhaften?«, fragte ich entnervt, und Schmerz durchzuckte erneut meinen Unterleib.
    Unruh stützte die Arme auf den Tisch und schob den Oberkörper vor. Auf der Stirn schwoll eine Ader bedrohlich an.
    »Hat Ihr Bruder Sie jemals geschlagen?«, fragte er und musterte mich reglos.
    »Wie bitte?«
    »War Ihr Bruder gewalttätig?« Er sah mich konzentriert an, während er jene lauernde Unruhe verströmte, die ich bei manchen Staatsanwälten erlebt hatte, wenn sie vor Gericht überraschend einen Joker ausspielten. Raubtiere verhielten sich so, kurz bevor sie zuschlugen.
    »Sind Sie verrückt?«
    »Machte es ihn an, Menschen zusammenzuschlagen?« Die Frage traf mich wie ein Fanggebiss mitten in den Magen. »Das tat es doch, nicht wahr?« Ein Fanggebiss mit Widerhaken.
    »Nein«, sagte ich. »Nein.«
    »Aber er hat es getan?«
    Ich hatte ihm nichts zu sagen, was er, wie

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