Bruderschatten
stritten Experten darüber, ob das Gemälde von Peter Paul Rubens oder Anton Sallaert war. Das Original hing seit 1902 in Brüssel und nannte Sallaert als Maler. Es war pures Lexikonwissen, das mir blitzartig durch den Kopf ging, während mein Herz viel zu schnell schlug und ich die Stelle entdeckte, an der das Bild gehangen hatte und wo nun eine Tresortür offen stand.
Erst in diesem Moment fragte ich mich, ob Siggi die Polizei informiert hatte und wie viel Zeit mir blieb, falls er es getan hatte. Ich war unsicher. Deshalb ging ich hinunter zum Telefon und tat das Naheliegende: Ich rief die Polizei an.
Eine junge Männerstimme meldete sich. Ich nannte meinen Namen, sagte, wo ich war und was ich gefunden hatte. Ich solle nichts anrühren und unbedingt draußen warten, erklärte er mir. Das Übliche eben.
Siggi Meier hatte nicht angerufen, und ich erwähnte ihn auch nicht.
Ich schätzte, dass die Polizei nicht länger als zehn Minuten bis zu Margos Haus brauchen würde, und ich hatte nicht die Absicht, ihr zu begegnen. Ich legte die Handschuhe zurück ins Bad, zog mir die Schuhe wieder an und verließ das Haus auf demselben Weg, auf dem ich gekommen war. Der Schlüssel steckte noch außen im Schloss. Ich ließ ihn stecken.
25
Ich ging langsam. In mir kreisten zu viele Fragen, zu viele Ungewissheiten und zu viel Schmerz, der mich auszuhöhlen begann.
Max kam durch den Vorgarten meines Vaters mit wehenden Jackenschößen auf mich zugerannt.
»Jan kann nicht kommen!«, rief er mir entgegen. »Er ist bei der Polizei!«
Ich hob abwehrend einen Arm. Er stoppte schlitternd und kam kurz vor mir zum Stehen. Den Kopf in den Nacken gelegt, sah er zu mir hoch. Seine Mütze saß wieder mal schief in der Stirn.
Aus der Ferne näherten sich Polizeisirenen.
»Ich weiß«, sagte ich. »Mach dir keine Sorgen. Die Polizei will ihn nur etwas fragen, weil er vielleicht helfen kann.«
Banale Sätze. Was man Kindern eben sagt, wenn sie durcheinander sind und man selbst mit etwas anderem beschäftigt ist.
»Und bei was?«, fragte er.
»Er war Zeuge bei einem Verbrechen.«
Er riss die Augen ungläubig auf. »Ist ja cool.«
»Die Polizei bringt ihn vielleicht schon zurück. Lass uns reingehen«, sagte ich und wollte an ihm vorbei, als er gerade seine Hand in meine legen wollte. Wortlos drehte er sich um und stürmte vor mir ins Haus.
Als ich in die Küche kam, stand mein Vater mit einem Tetrapak Milch in der Hand vor dem Kühlschrank.
»Bei was war Jan denn Zeuge?« Max warf sich auf einen Küchenstuhl und verschränkte die Arme vor der Brust wie ein kleiner Ganove, der seinen großen Filmhelden nacheiferte und sich cool gab.
»Zieh deine Schuhe aus«, sagte Adam zu Max und wandte sich dann an mich. »Wo warst du so lange?«
»Auf dem Friedhof. Mit Kortner.«
Mein Vater setzte sich mir gegenüber. »Max, ich sagte, zieh die Schuhe aus. Dann darfst du dir im Wohnzimmer eine DVD ansehen. Such dir eine aus.«
»Ich will nicht«, erwiderte Max und nestelte an den Schuhbändern. »Ich will wissen, bei was Jan Zeuge war.«
»Du tust, was ich dir sage«, sagte mein Vater.
»Na los, Max«, schaltete ich mich ein. »Großvater und ich müssen uns unterhalten.«
»Nein.«
Er konnte so ein sturer, kleiner Kerl sein. Umständlich stieg er aus den Schuhen.
»Max.« Adams Stimme klang tief und autoritär.
Max sprang von seinem Stuhl auf. Aus seinen Augen sprühte Wut, in den Mundwinkeln bebte Zorn, seine Schultern strafften sich vor Empörung. Zehn Jahre alte Energie. Zehn Jahre reine kindliche Auflehnung. Sie musste raus.
Er holte mit dem rechten Fuß aus und kickte einen Schuh aus der Küche in den Flur, der zweite knallte gegen den Türrahmen.
Ich erstarrte.
»Immer muss ich gehen, wenn’s spannend wird«, fauchte er.
»Du bist noch ein Kind«, sagte ich. »Sammle bitte sofort die Schuhe auf.«
Ich sagte nicht, dass ich ihn liebte und ihn nur beschützen wollte oder dass er noch früh genug damit konfrontiert würde, was Menschen einander antun konnten.
»Na und? Jeder ist mal eins gewesen. Und du auch.« Er zeigte mit dem Finger auf mich, drehte sich um und rannte aus der Küche. Im Vorbeilaufen sammelte er die Schuhe auf.
»Es gibt Dinge …«, rief mein Vater hinter ihm her. Doch hinter Max knallte die Tür ins Schloss.
Normalerweise war das der Punkt, an dem ich hinter ihm herrannte und ihm irgendeine Strafe auferlegte. Kein Kino am Wochenende, keine DVD, weniger Taschengeld. So etwas in der Art. Die Wirkung
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