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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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sein. Sie ist Engländerin. Es hieß immer, sie sei aus politischen Gründen in die DDR gekommen, um beim Aufbau des Sozialismus zu helfen. Aber im Moment zweifle ich an allem, und deshalb will ich ein paar Fakten. Und versucht bitte«, sagte ich und zögerte einen Moment, »etwas über Vera und Nora Schnitter herauszufinden. Vera war ein Exjunkie. Sie muss irgendwo einen Entzug gemacht haben.«
    »Das ist viel für ein Wochenende.«
    »Versuch es. Bitte.«
    »Ich weiß noch nicht mal, ob ich Robert erreiche.«
    »Versuch es«, wiederholte ich, und dann fragte ich ihn, ob er glaubte, was Kortner behauptet hatte: dass meine Mutter Charles erschossen und Leo Claudia umgebracht hatte.
    »Es gibt sicher alle möglichen denkbaren Versionen.«
    »Und eine ist, dass meine Mutter Charles und Leo Claudia umgebracht hat.«
    »Sie könnte zu den wahrscheinlichen gehören.«
    »Kortner lügt. Das wäre eine andere Version«, sagte ich.
    »Das wäre sogar eine sehr wahrscheinliche. Er hat früher Beweise gefälscht. Er lügt also aus Gewohnheit. Aber gehen wir mal davon aus, dass Kortner diesmal nicht lügt. Wenn wir damit daneben liegen, werden wir es früh genug erfahren …«
    Ich schloss die Augen und massierte die Stelle zwischen den Augenbrauen. Ich hörte seine leise Stimme. »… wenn nicht, Julie, dann mach dich drauf gefasst, dass Leo etwas mit diesen Morden zu tun haben kann. Ich weiß nicht, ob dir das gefällt.«
    Muss ich erwähnen, dass es das nicht tat?
    Trotzdem lächelte ich. »Ich liebe dich.«
    »Ich weiß, Julie. Das tust du, seit wir uns bei der Einschulung um den Platz in der letzten Reihe geprügelt haben.«
    »Du hast verloren.«
    Er lachte. »Deshalb liebst du mich ja.«

29
    Das Solthavener Polizeirevier lag im Stadtzentrum unmittelbar an einer Kreuzung, von der aus sich vier holprige Einbahnstraßen in die vier Himmelsrichtungen verzweigten.
    Kurz vor Mittag verließ ich das Revier. In dem rot gepflasterten Innenhof, den die drei sorgsam renovierten Klinkergebäude der ehemaligen Ulanen-Kaserne hufeisenförmig umgaben, sah ich Lauren und ihren Sohn, als ich gerade meine Autotür öffnete.
    Etwas an Lauren hatte sich verändert, auch wenn noch immer dieser mürrische Zug um ihre Mundwinkel spielte. Ihr Gang wirkte entschlossener, ihre Bewegungen zielgerichteter, und ihr Gesicht hatte an Kontur gewonnen. Es war schmal und sehr blass. Jan humpelte auf zwei Krücken neben ihr her. Ein Verband lugte unter seiner Mütze hervor. Sie gingen zusammen mit einem Polizisten an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Ich lief ihnen nach. Lauren bemerkte mich erst, als ich ihr von hinten auf die Schulter tippte.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte ich, nachdem ich die beiden begrüßt hatte, und dann fragte ich sie, ob ich sie im Auto mitnehmen könne. Sie schüttelte den Kopf, sah aber zugleich fragend zu dem Polizisten. Der zuckte die Achseln.
    »Klar können Sie mit Ihrer Freundin fahren.«
    Nach einigem Zögern willigte sie schließlich ein, und ich erinnerte mich daran, dass sie sich schon früher so verhalten hatte. Sie sagte durchaus Nein, wenn ihr etwas nicht passte, doch nach einer Weile gab sie nach, als würde sie ihrer eigenen Meinung nicht trauen.
    Ich ging zu meinem Auto zurück und fuhr zu ihnen hinüber. Jan kroch auf den Rücksitz und legte die Krücken neben sich. Lauren stieg vorne ein, und ich verließ den Parkplatz, überquerte die Kreuzung und bog links in eine Einbahnstraße ein.
    »Behauptest du immer noch, dass Charles der Vater deiner Zwillinge ist?«, fragte ich übergangslos.
    »Das tue ich«, sagte sie ruhig, während sie nach draußen auf die vorüberziehenden Häuserfassaden blickte.
    »Wann soll das passiert sein?«
    Sie antwortete nicht.
    Ich hakte nach. »Wann, Lauren?«
    »Du hättest an der Kreuzung rechts abbiegen müssen.«
    »Ich weiß, wie ich nach Hause komme«, sagte ich. »Wir fahren besser über den Südbockhorn, dann müssen wir nicht über das Kopfsteinpflaster in der Pagenbergstraße.«
    Sie sah aus dem Fenster, als wäre ich nicht vorhanden, und zeigte mir dabei ihr Profil mit der geraden Stirn und der kurzen Nase.
    »Wann und wo habt ihr euch getroffen?«
    Sie holte tief Luft und sah hinüber zu mir. »Was spielt das noch für eine Rolle nach all der Zeit? Wir waren dumm und jung. Du warst dumm und jung.«
    Ich umklammerte das Lenkrad. »Dumm genug, um betrogen zu werden?«
    Es kostete Mühe, mich zu beherrschen. Doch hinter uns saß der Junge. Eine Szene war das Letzte,

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