Bruderschatten
hatte Konrad die Firma von seinem Vater offiziell übernommen. Seither feierten die Langhoffs bescheidener, denn Konrad wusste, dass zu viel Luxus zu viele Neider auf den Plan brachte.
Konrad hatte mir damals in Hamburg erzählt, dass es nicht einfach in der Firma sei und dass selbst leitende Angestellte über seinen Vater tratschten, sobald er ihnen den Rücken zukehrte. »Wendegewinner« war noch das Schmeichelhafteste. Die meisten missgönnten ihm, dass er sich in den Wirren des Zusammenbruchs der DDR die Baufirma »unter den Nagel gerissen hatte«, wie sie es nannten. Behilflich beim Kauf waren alte Seilschaften gewesen. Das hatte er eingeräumt. Heute nannte man es Netzwerk, und es lief auf dasselbe hinaus. Beziehungen waren nun mal das A und O. Immerhin hatte Thor Langhoff bei der Übernahme einen Geschäftsplan vorgelegt, sich an ihn gehalten und die Firma kontinuierlich zum Erfolg geführt. Unter Konrads Leitung war die Firma mindestens genauso erfolgreich.
»Hast du es schon gelesen?«, fragte ich, nachdem ich den Artikel überflogen hatte.
Mein Vater nickte.
»Wenn Leo wieder hier wäre …«
»Hör auf damit.«
Ich erhob meine Stimme. »Wenn Leo wieder hier wäre, an wen würde er sich wenden, wenn er Hilfe braucht?«
Ich tippte auf den Zeitungsbericht.
»Gib doch endlich Ruhe.«
»Nein«, sagte ich und stand auf. »Ich muss telefonieren.«
Egal, ob ich Ruhe wollte oder Ruhe gab, wir würden keine finden, bis Leo rehabilitiert oder überführt und eingesperrt war. Charles war sein bester Freund gewesen, aber mit Konrad hatte er sechs Monate im Jugendgefängnis gesessen. Und etwas, über das nie gesprochen wurde, war dort mit ihnen geschehen.
Als Konrad und ich vor zehn Jahren den Sommer in Hamburg miteinander verbracht hatten, hatten wir über vieles geredet, aber einiges auch ausgespart. Wann immer ich auf ihre Zeit im Gefängnis zu sprechen kam, wechselte Konrad das Thema.
Cornelius würde sich die offiziellen Akten ansehen. Das hatte er versprochen. Dennoch wollte ich auch mit Konrad sprechen.
Ich ging ins Wohnzimmer, suchte im Telefonbuch nach Konrads Nummer, stutzte, als ich die Adresse sah, griff nach dem Hörer und wählte.
Nach dem vierten Klingeln antwortete eine Frauenstimme. »Langhoff.«
Ich schluckte überrascht und räusperte mich. »Frau Konrad Langhoff?«
»Ja?«
»Mein Name ist Julie Lambert.« Ich hatte plötzlich einen trockenen Mund. Ich wartete auf ihre Reaktion. Vielleicht hatte Konrad mich mal erwähnt. Doch sie schwieg. Im Hintergrund hörte ich Geräusche, eine aufgeregte Kinderstimme rief: »Gib das her! Das ist meins!«
»Ich bin eine alte Schulfreundin von Konrad.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde gern Ihren Mann sprechen. Ist er zu Hause?«
»Wozu?« Eine knappe Frage mit Abwehr in der Stimme.
»Ich muss etwas Dringendes mit ihm besprechen.«
»Hat das nicht Zeit?«
»Könnten Sie mir bitte Ihren Mann geben?«, sagte ich. »Es ist wirklich wichtig.«
»Konrad?« Ich hörte Stimmen, darunter ein genervtes »Muss das sein?«. Seine Frau sprach leise, ich verstand nicht, was sie sagte.
Dann kam Konrad an den Apparat: »Julie? Meine Güte! Wie geht es dir?«
Klang es erfreut? Nein. Keine Spur.
»Ich muss mit dir reden«, sagte ich. »Dringend.«
»Was ist denn so dringend?«
»Es geht um Claudia. Und dann gibt es da noch etwas.«
»Das ist im Moment schlecht«, sagte er. »Wir feiern den dritten Geburtstag meines Sohnes und haben volles Haus. Na ja, du kennst das ja.«
»In einer Stunde?«, fragte ich. »Alte Stelle?«
»Alte Stelle?«, fragte er überrascht.
»Ja«, sagte ich. »Bitte. Ich würde dich nicht bitten, wenn es nicht wichtig wäre. Es dauert nicht lange.« Ich wartete keine Antwort ab und legte auf.
Einen Moment lang starrte ich das Telefon an und versuchte, mir darüber klar zu werden, weshalb es mich verletzte, dass Konrad glücklich verheiratet und Vater eines Sohnes war, und warum mir das niemand gesagt hatte.
Hatte ich etwa erwartet, dass er ewig Junggeselle blieb, weil seine Schwester ermordet worden war? Dass es ihm ging wie mir und er sich immer die falschen Partner aussuchen würde?
Ich sollte mich für ihn freuen, doch ich spürte keine Freude.
31
Ich sah durchs Wohnzimmerfenster in das trübe Licht dieses noch frühen Samstagnachmittags. Ein dunkelgrauer Wagen parkte auf der anderen Straßenseite.
Ich musste an das denken, was Lauren mir gesagt hatte. Ich würde keinen Schritt mehr ohne einen Polizisten
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