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Brücke der brennenden Blumen

Brücke der brennenden Blumen

Titel: Brücke der brennenden Blumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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können,
wenn er seine Magie nicht verloren hätte. Verloren, verspielt aus Leichtsinn
und Dummheit. Der Blick fiel, flog, raste hinab wie ein jagender Falke, doch
der Körper blieb zurück, entfernte sich z-u-s-e-h-e-n-d-s. Die Entfernung
begann zu schmerzen, ein ziehendes Sehnen. Verzehrte sich. Er mußte hinab,
hinterher. Nur Bestars kräftige Hände hielten ihn zurück, als er auf die
Einfassung klettern wollte. Immer noch starrte er hinab. Seine Augen schrien im
trudelnden Sturz. Und dann sah er das andere Auge: Feucht blickte es zu ihm
auf, blinzelte Tränen, von weichem Fell umrahmt. Das Auge des Kaninchens. Es
blinzelte noch einmal, dann riß der Klippenwälder den schluchzenden Magier vom
Brunnen fort. Nachmittagshimmel, Wolken und Regentropfen bestürmten den Blick.
Irgendwo versteckte sich die Sonne. Bäume. Das Laub von frühem Herbst. Tjarka.
Ihre Stimme.
    Â»Der Niemalsbrunnen hat keinen Grund. Wenn man einen Stein
hineinwirft, hört man keinen Aufprall, nur nach endlos langer Zeit ein
wiederholtes und sich in der Tiefe verlierendes Klacken des Steines an den
Wänden. Niemandem ist es jemals gelungen, einen Stein schnurgerade
fallenzulassen. Nein, die Menschen können diesen Brunnen nicht erbaut haben.
Vielleicht waren es die Götter selbst.«
    Â»Geht’s wieder?« fragte Bestar seinen Gefährten.
    Eljazokad fand sehr schnell seine Fassung wieder. Sobald die Tiefe
nicht mehr im Blickfeld war, spürte er den Boden der Welt wieder unter den
Füßen. »Ich habe etwas gesehen«, sagte er leise. »Ein Kaninchen. Es weinte in
der Dunkelheit.«
    Â»Kaninchen weinen nicht«, widersprach Tjarka. »Höchstens in
Ammenmärchen.«
    Â»Ich will das mit dem Stein probieren«, sagte Bestar und suchte
bereits nach einem geeigneten Wurfgegenstand.
    Â»Laß es lieber sein«, riet Tjarka. »Man sagt, daß es Unglück bringt,
einen Stein hineinzuwerfen. Keiner fällt gerade. Es ist ein Zeichen dafür, daß
die Welt in Schieflage ist.«
    Â»Aber … wahrscheinlicher ist doch, daß der Brunnenschacht schief
ist.«
    Â»Wer weiß? Wenn ihn wirklich die Götter angelegt haben, warum sollte
er dann nicht gerade sein?«
    Bestar kratzte sich am Kopf. »Weil die Götter auch die Welt gemacht
haben, und ganz bestimmt nicht schief. Jedenfalls hat keiner dieser Brunnen
Wasser. Also was soll der ganze Scheiß?«
    Â»Was fragst du mich? Frag deinen Freund, der war so begeistert, daß
er sogar hinabspringen wollte.«
    Â»Ich … wollte nicht hinabspringen«, flüsterte Eljazokad. »Ich wollte
nur … besser sehen können.«
    Aus Eljazokads Tagebuch:
    6. Blättermond. Nachtlager.
    Unser sechster Tag im Thost.
    Der Wald ist feucht genug, um ein
Lagerfeuer zu wagen. Tjarka findet selbst im Regen noch trockenes Holz. Unter
dichtem Laub bleibt vieles von Nässe verschont.
    So haben wir Wärme, nachts wird es nun doch
schon empfindlich kühl. Und ich habe ein tanzendes Licht zum Schreiben.
    Wir haben Fenchels Gebet noch nicht
erreicht, aber morgen früh soll es soweit sein. Keine Kaninchen, nirgends.
    Nur im endlosen Brunnen war eins. Ein
Kaninchengott? Kaninchengeist? Die Furcht eines Kaninchens? Die Furcht eines
Kaninchenvolkes?
    Ich habe viel über diese Brunnen
nachgedacht. Es sind zehn, wie die Götter. Doch nur einer von ihnen ist tief,
bodenlos, grundlos. Die anderen sind Fehlversuche. Durchdacht, geplant, aber
flach und lachhaft. Einer ist göttlich, die anderen menschlich.
    Der Mensch ist kaum imstande, das Göttliche
zu ertragen.
    Das stimmt nicht ganz. Bestar war imstande.
Bestar konnte auch unter Riesen leben, unter Klippenwäldern, in der Stadt. Er
ist unerschütterlich er selbst. Ich war es, der beinahe Selbstmord beging
angesichts des Niemalsbrunnens.
    Der Thost treibt in den Selbstmord.
    Ist es möglich, ist es denkbar – daß die
Kaninchen sich selbst getötet haben?
    Wir sollten anfangen, uns an einen
Gedanken zu gewöhnen, den es unter Rodraegs Führung niemals gab:
    Wir kommen womöglich zu spät.
    Wir sind womöglich vergebens hier.
    Und ich frage mich, was das für Auswirkungen
haben wird. Auf den Thost. Auf den Kontinent. Auf uns.
    Aus Eljazokads Tagebuch:
    7. Blättermond. Morgendämmerung.
    Die anderen schlafen noch. Selbst
Tjarka sieht im Schlaf beinahe freundlich aus. Sie ist ja doch noch ein Kind.
    Ich hatte gerade

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