Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
Feenkönigin von Spenser«, erklärte sie. »Ist das nicht ein seltsamer Zufall?«
»Sehr«, stimmte Avi zu. »Ich glaube, ich gehe in die Stadt.«
»Gute Idee. Dann störst du mich wenigstens nicht.«
»Du klingst genau wie deine Mutter.«
»Ach herrje!«, erwiderte sie.
In seinem Zimmer öffnete Avi die Holzschatulle, die er unter einer lockeren Bodendiele versteckt hatte, und zählte seine Ersparnisse. Es waren gut tausend Pfund, leider nicht so viel wie erhofft. Doch sein Entschluss, ins Feenreich zurückzukehren, bedeutete, dass er auch andere Vorhaben früher als geplant in die Tat umsetzen musste. Insbesondere eines.
Er fuhr mit dem Bus zur Victoria Station und spazierte von dort aus nach Pimlico. Als er an den eleganten Boutiquen mit ihrer nicht minder eleganten Kundschaft vorbeischlenderte, dachte er daran, dass er sich inzwischen fast genauso kleidete wie Hannah: Jeans und Lederjacke. Er versuchte, sich zu erinnern, wie sich die weichen Tuniken und fließenden Gewänder eines Feenprinzen angefühlt hatten, und stellte fest, dass er es nicht konnte.
Schließlich erreichte er den Juwelierladen, den Eric ihm empfohlen hatte. Avi hatte sich zwar ganz beiläufig erkundigt, aber dennoch den Verdacht, dass Eric genau gewusst hatte, was er im Schilde führte.
Es standen Hunderte von Ringen zur Auswahl, was Avi vor ein Problem stellte: Er hatte keine Ahnung, welcher Hannah gefallen würde. Die Ringe im Fenster waren mit den verschiedensten Steinen, von funkelnden Diamanten bis hin zu blutroten Rubinen und sattgrünen Smaragden, besetzt. Er empfand das Sortiment als überwältigend. Trotzdem war es ein schlichter Goldreif mit einem kleinen blauen Saphir, der ihm besonders ins Auge stach. Der Saphir wurde von sechs winzigen Diamanten eingerahmt. Während die anderen Ringe aufdringlich glitzerten, schimmerte dieser nur dezent. Avi wusste zwar nicht, ob er damit Hannahs Geschmack traf, fand jedoch, dass dieser Ring genau der richtige war.
Im Laden wartete er beklommen darauf, dass die Verkäuferin den Ring zur Theke brachte, denn er fühlte sich in seinen zerknitterten, abgetragenen Kleidern fehl am Platz.
»Jetzt sieht er violett aus«, merkte er an und hielt den Ring ans Licht. »Ich dachte, es sei ein Saphir.«
»Das ist richtig, Sir«, entgegnete die Verkäuferin. »Es handelt sich um einen sogenannten farbwechselnden Saphir aus Tansania. Bei Tageslicht ist er blau, bei künstlicher Beleuchtung nimmt er eine violette Färbung an.«
Wie meine Augen, sagte sich Avi. Vielleicht war es ja ein Zeichen.
»Ich nehme ihn«, verkündete er.
»Welche Größe, Sir?«
»Oh, ja …« Avi kramte den Ring aus der Tasche, den er zu Vergleichszwecken mitgebracht hatte. Er gehörte zu einer großen Sammlung, die Hannah in einem alten Schuhkarton aufbewahrte. Die meisten ihrer Ringe waren klotzig und bestanden aus Zinn. Der, den er ausgesucht hatte, war mit einem grinsenden Totenschädel verziert. Avi hoffte, dass Hannah sein Fehlen nicht bemerken würde.
Die Verkäuferin musterte ihn mit kaum verhohlener Herablassung, als er ihr den Ring mit dem Totenschädel reichte. Sie nahm ihn mit spitzen Fingern entgegen und bat Avi um eine Anzahlung von fünfzig Pfund.
Beim Verlassen des Ladens hatte Avi noch mehr als sonst den Eindruck, nicht hierher zu gehören.
Er schlenderte in Richtung Fluss. Am Ufer angekommen, holte er sein Telefon aus der Tasche und rief Hannah an. Es läutete acht Mal, und er wollte schon aufgeben, als sie mitten im neunten Läuten abnahm. »Hallo, Avi.«
»Wie läuft es mit der Seminararbeit?«, fragte er.
»Äh, okay«, antwortete sie. Sie klang atemlos. »Fast fertig.«
»Super. Treffen wir uns anschließend? Wir könnten uns den Film über die Attentäterin anschauen, den du schon länger sehen wolltest.«
»Äh, das schaffe ich wahrscheinlich zeitlich nicht.«
»Ich dachte, du wärst fast fertig.«
»Der Schluss könnte noch eine Weile dauern. Verschieben wir es?«
»Kein Problem.«
Avi beendete das Gespräch. Sehr seltsam. Seit Wochen redete sie nur über diesen Film. Es war schon merkwürdig genug, dass Durin und Roosevelt versucht hatten, eine Begegnung mit ihm zu vermeiden. Hatte Hannah vielleicht auch etwas zu verbergen?
Plötzlich begann es heftig zu regnen. Die Tropfen prasselten auf den Gehweg, zernarbten die Wasserfläche des Flusses und trommelten auf Avis Kopf und Schultern ein. Auf einmal roch die Luft feucht und auf unbestimmbare Weise alt, als sickere eine längst
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