Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
Erde. Von Goblins, einer Brücke, angeketteten Elfen oder gar Kellen fehlte jede Spur.
Avi atmete tief durch. Eigentlich hatte er mit Hinweisen darauf gerechnet, dass Kellen hier gewesen war. Hatten Durin und Roosevelt ihm die Wahrheit gesagt? Vielleicht hatten sie sich ja einfach nur geirrt.
Er musste sich gründlicher umschauen.
Am Gerüst war ein Baustellenaufzug mit Scherenhubtisch befestigt. Offenbar hatte irgendein Unternehmen Pläne mit dem Grundstück, auch wenn die Arbeiten noch nicht begonnen hatten. Avi, der sich mit solchen Aufzügen auskannte, fuhr damit in die Halle hinunter. Die beiden Längsseiten waren mit massiven rostigen Armierungen versehen. Als er, unten angekommen, den Aufzug verließ, hatte er das beunruhigende Gefühl, sich in einem gewaltigen Sarg zu befinden.
Er begann, den Raum zu erkunden. Grasbüschel dämpften den Klang seiner Schritte. Da die Mauern den Wind abhielten, war die Luft völlig reglos, und es herrschte Totenstille. In der Nähe des Lifts lag der fast bis aufs Skelett verweste Kadaver einer Möwe, deren Schnabel sich gelb vom Boden abhob. Über Avi ragten die vier hohen Kamine wie Wachposten in den Himmel und beobachteten jede seiner Bewegungen.
An der Wand, die nach Norden zeigte, entdeckte er einen Haufen achtlos hingeworfener Planen, mit denen man für gewöhnlich Baumaterial vor dem Regen schützte. Während er darauf zuging, fühlte er sich schutzlos fremden Blicken ausgeliefert wie ein Gladiator in der Arena, so dass er die Gesichter der Zuschauer, die ihn anstarrten, beinahe zu sehen glaubte. In den Ecken war es stockfinster – alles Mögliche hätte dort lauern können.
Auf halbem Wege änderte sich die Beschaffenheit des Bodens. Avi senkte den Kopf und bemerkte, dass er in einem Kreis aus versengtem Gras stand. Er bückte sich, um ein paar Halme zwischen den Fingern zu zerreiben: Sie zerbröckelten wie Holzkohle und verströmten einen beißenden Brandgeruch. Offenbar war hier vor kurzem ein Feuer angezündet worden. Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es Obdachlose gewesen waren, die sich in diesem immerhin abgeschlossenen Elektrizitätswerk eingenistet hatten. Außerdem hatte das Feuer einen Durchmesser von zweieinhalb bis drei Metern gehabt.
Etwas lugte unter einer der Planen hervor. Avi näherte sich neugierig. Er wusste zwar, dass er allein war, wurde aber dennoch die Überzeugung nicht los, dass ihn jemand beobachtete. Inzwischen hörte er nicht nur das Knistern des verbrannten Grases unter seinen Füßen, sondern auch das Pochen seines Pulses in den Ohren.
Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr, wirbelte herum und hob schützend die Hände. Nichts. Mit klopfendem Herzen drehte er sich langsam um die eigene Achse und ließ den Blick durch die Halle schweifen.
Inzwischen hatte er Gesellschaft bekommen. Auf einer verbogenen Eisenstange, die aus dem Boden ragte, saß eine zweite Möwe, die Avi mit einem schwarzen Auge fixierte. Das andere fehlte. Wahrscheinlich hatte sie es bei einem Kampf verloren.
Da Avi nicht vorhatte, das Schicksal herauszufordern, bückte er sich und tastete den Boden ab, bis seine Finger auf einen scharfkantigen Stein stießen. Er nahm ihn, richtete sich auf, holte aus und warf den Stein nach der Möwe. Mit einem durchdringenden Schrei breitete der Vogel seine riesigen Schwingen aus, flog auf und flatterte auf einen der Kamine zu.
Als Avi ihm nachschaute, fragte er sich, ob er sich möglicherweise geirrt hatte. Er hatte den Vogel nicht treffen, sondern nur verjagen wollen.
Aber was, wenn sein Verdacht begründet war? Wenn es sich um einen Kundschafter gehandelt hatte?
Im nächsten Moment drang ein Geräusch an sein Ohr. Es war ein gedämpftes Hämmern wie von Trommeln oder einer großen Maschine, das vom Wind herangetragen wurde und wieder verklang. Doch eines stand für Avi fest: Es stammte nicht aus dieser Welt.
Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und ging zu der Plane hinüber, wo er innehielt und das musterte, was darunter hervorlugte.
Er brauchte einige Zeit, um zu begreifen, dass er auf eine Hand herabblickte.
Die Möwe war vergessen, und sein Mund wurde trocken, als er auf die Hand starrte. Plötzlich bereute er, das Elektrizitätswerk je betreten zu haben.
Dennoch kauerte er sich hin, hielt den Atem an, zählte bis drei und zog die Plane weg. Zu seiner Erleichterung verbarg sich keine Leiche darunter, sondern eine Art Anzug oder Overall. Was er für eine Hand gehalten hatte, war nur ein Handschuh.
Er
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