Brüder der Drachen
übers Gesicht wischte. Während sie ritten, betrachtete Deryn argwöhnisch die Ruinen, die ihren Weg säumten. Die unregelmäßigen Umrisse der zerstörten Häuser schimmerten rötlich im Licht des Sonnenuntergangs. Bald erreichten sie eine freie Fläche, an deren Rand sich ein weites Trümmerfeld ausbreitete. Nicht weit entfernt kletterte ein Mann über die zerklüftete Steinwüste und verschwand dann plötzlich aus Deryns Sicht. Offenbar war er in eine Höhlung zwischen den geborstenen Mauern eingedrungen, um in den Eingeweiden des alten Gebäudes nach Schätzen zu suchen.
»Das war der Palast«, sagte Danira. »Halte kurz an, dann werde ich nach deinem Freund fragen.«
Sie sprang von der Echse und stieg eine halb zugeschüttete Treppe nach oben. Erst jetzt bemerkte Deryn, dass dort eine Gestalt in einem zerschlissenen grauen Umhang stand, der sich kaum von dem steinernen Hintergrund abhob. Nervös blickte der königliche Bote um sich. Wie viele Personen mochten noch in unmittelbarer Nähe zu ihm lauern, ohne dass er sie bemerkte? Danira löste sich nach einem leisen Gespräch von dem Unbekannten und bewegte sich dann tiefer in das Trümmerfeld hinein.
Ein leises Zischen des Craith lenkte Deryns Aufmerksamkeit auf sich, und er ließ sich aus dem Sattel gleiten, um neben den Kopf des Tieres zu treten. Die Echse war offenbar beunruhigt, in dem rötlichen Dämmerlicht war es allerdings nicht möglich, die Farbe ihrer Haut genau wahrzunehmen. Ob ein Drache in der Nähe war? Danira war nicht mehr zu sehen, und Deryns Sorge wuchs mehr und mehr. Ohne seine junge Führerin kam er sich bereits einsam und verlassen vor.
Endlich näherten sich Schritte von der Treppe, und erleichtert erkannte Deryn, dass es das Mädchen war.
»Ich habe mit ein paar Schatzsuchern geredet«, sagte sie. »Aber keiner hat deinen Freund gesehen.«
»Schade. Vielleicht sollten wir jetzt lieber einen Unterschlupf suchen, meine Echse ist unruhig.«
»Ja, das sollten wir. Aber keine Sorge, solange der Himmel noch nicht ganz dunkel ist, werden die Wächter ihre Kriegspfeifen blasen, wenn sie einen Drachen sehen.«
Verschiedene Fragen drängten sich auf Deryns Zunge – wie viele Schatzsucher eigentlich hier lebten, wo sie Nahrung und Schutz fanden und wer sich um die Organisation eines Wachdienstes kümmerte. Doch die Unruhe seiner Echse hatte auf ihn übergegriffen, und er sehnte sich nur noch an einen sicheren Ort. Er hob Danira auf den Craith und setzte sich hinter sie, dann trieb er das Reittier eilig in die Richtung, die das Mädchen ihm wies.
Die leeren Fensteröffnungen und Türen schienen eine finstere Drohung zu beherbergen, und Deryn kamen all die Sagen und Legenden in den Sinn, die sich um diese Stadt woben – Geschichten über Geister und Spukgestalten, die nach dem Blut der Lebenden gierten. Gelegentlich trafen sie andere Menschen, die sich wie Schatten an den Wänden der Ruinen entlangdrückten und ohne einen Gruß vorbeieilten. Umso mehr war Deryn verwundert, als ein Stück abseits des Weges ein Mann weithin sichtbar auf einer geborstenen Mauer stand, ein dunkler Umriss gegen die verblassende Glut des Abendhimmels. Nachdem sie ein Stück weitergeritten waren, sah sich Deryn noch einmal um, doch der Mann auf der Mauer war verschwunden. Plötzlich hob Danira eine Hand, und Deryn brachte den Craith zum Stehen, erst dann sah er die beiden Männer, die sich aus dem Schatten eines Gebäudes lösten und in ihren Weg traten.
»Gesetzeshüter!«, sagte Danira.
»Ich dachte, hier gibt es keine Gesetze«, erwiderte Deryn.
»Doch, ein paar gibt es«, flüsterte das Mädchen. »Sag ihnen, dass du zu Taric willst.«
Deryn ließ sich aus dem Sattel der Echse gleiten, während ihm schmerzlich bewusst wurde, wie wenig er über diese Stadt wusste. Die beiden Männer trugen kurze Schwerter an den Gürteln, weitere Einzelheiten waren in dem schwächer werdenden Abendlicht jedoch nicht zu erkennen. Für einen Moment fiel Lichtschein aus dem Innenraum des nahe stehenden Hauses auf die Straße, als ein dritter Mann, groß und von beachtlicher Körperfülle, sich zu den anderen gesellte. Sein Schädel war kahl, das fehlende Haupthaar wurde aber durch einen dichten schwarzen Vollbart ausgeglichen. Der Dicke hielt sich zwischen den beiden Bewaffneten und musterte Deryn mit einem Lächeln, in dem keine Freundlichkeit lag.
»Du musst neu sein, hier in der Stadt, sonst würdest du nicht so unbekümmert durch die Straßen reiten. Wie ist dein Name,
Weitere Kostenlose Bücher