Brüder der Drachen
Symbole der Macht bedeckt, die den Feuerschein einfingen und trotzig zurückwarfen – es waren Rüstungen, die dafür geschaffen waren, dem Feuer der Drachen zu widerstehen. Einzig die Köpfe der Ritter waren ungeschützt, denn ihre Helme hatten sie an den Flanken der Reittiere festgezurrt. Das Drachenland hatten sie schon einen Tag zuvor hinter sich gelassen, sodass sie nun unbefangen durch die Nacht reiten konnten. Eril-Firions Licht konnte zwar nur gelegentlich durch die ziehenden Wolken scheinen, doch Carilon kannte seinen Weg ebenso gut wie die Echse, auf der er ritt. Er war in Car-Osidia aufgewachsen, zusammen mit seinem Bruder Calidor – seinem Bruder, der sich nun König des Westreiches nannte.
»Willkommen in Car-Osidia«, sagte ein Soldat, der in den Torgang getreten war, um die Ankömmlinge zu begrüßen. »Ich werde Euch zum Palast geleiten.«
Carilon betrachtete den jungen Mann nachdenklich – ob er ahnte, wie nah sich die Stadt an einem Krieg befand? Der Soldat nahm eine der Laternen, die an der Wand aufgestellt waren, und lief mit eiligen Schritten voraus, während die beiden Ritter schweigend folgten. Die Straßen waren verlassen, denn die meisten Bewohner schliefen friedlich, und nur bei wenigen Fenstern drang Licht durch die Ritzen der hölzernen Läden. Plötzlich war ein schwacher rötlicher Schein auf den Fassaden der Häuser zu erkennen, und Carilon blickte zum Himmel auf. Eril-Angoth, das Auge des Bösen, glitzerte hell durch eine Lücke zwischen den ziehenden Wolken, aber Eril-Firion, das Auge des Wächters, blieb verhüllt. Ein böses Omen, dachte Carilon. Wenn das Auge des Bösen, der kleinere der beiden nächtlichen Himmelswanderer, allein sein Licht zur Erde schickte, erschien das Land wie mit Blut bedeckt. Zum Glück würde auch Eril-Firion gleich wieder hinter den Wolken hervortreten, und sein helles, klares Licht würde das gespenstische rote Glühen überstrahlen. Erleichterung machte sich in Carilon breit, als die Wolke vorüberzog, und die leuchtende Scheibe des Wächters die Stadt mit ihrem silbernen Licht erhellte.
Der Weg führte sie einen Hang hinauf, und bald öffnete sich eine offene Fläche vor ihnen. An der gegenüberliegenden Seite schimmerten Lichter, denn dort lag das Tor, das in den inneren Mauerring der Stadt und die Burg des Fürsten führte. Die Wachen der Burg gaben eilig den Weg frei, als sich die Drachentöter näherten, sodass die beiden bald auf dem Burghof anlangten und ihre Reittiere in die Obhut der Stallknechte übergeben konnten. Carilons erster Blick galt dem Fenster der hohen Turmkammer, die seinem Bruder als Arbeitszimmer diente. Da noch Lichtschein zu sehen war, schickte er einen der Wachsoldaten nach oben, um seine Ankunft zu melden. Dann begab er sich mit Seregon in den Wohnflügel der Burg, wo die beiden sich gegenseitig beim Ablegen ihrer Rüstungen behilflich waren. Noch bevor sie damit fertig waren, öffnete sich die Tür, und Calidor betrat den Raum.
»Carilon, es tut gut, dich zu sehen!«
»Sei gegrüßt Bruder. Du hättest dich nicht hierherbemühen müssen – wir wären gleich zu dir gekommen.« Carilon wandte sich lächelnd seinem Bruder zu, der an ihn herantrat und ihn umarmte. Die beiden Brüder waren einander sehr ähnlich, sie besaßen die gleiche schlanke Statur und dunkles, fast schwarzes Haar – nur war das des Ritters wesentlich kürzer geschnitten. Auch die Gesichtszüge und die aufmerksamen grauen Augen der beiden verrieten, dass sie Brüder waren.
»Ich konnte es nicht erwarten, dich zu sehen«, sagte Calidor. »Es gibt so viel zu erzählen. Wenn ihr nicht zu müde seid – wollt ihr mir bei einem Nachtmahl in der kleinen Halle Gesellschaft leisten? Auch du bist willkommen, Seregon, Bruder meines Bruders.«
Der König umfasste den Arm des Ritters und drückte ihn herzlich. Seregon war wesentlich kräftiger gebaut als sein Schwertbruder und fast genauso groß. Sein blondes Haar umrahmte ein kantiges Gesicht mit hellen blauen Augen.
»Auch wir haben wichtige Neuigkeiten für dich, Calidor. Lass uns nur rasch die Rüstungen ablegen und uns kurz erfrischen, dann stehen wir dir zur Verfügung.«
Inzwischen waren Bedienstete herbeigeeilt und brachten Schüsseln mit Wasser und Hausgewänder für die beiden Drachentöter. Bald hatten die Ritter sich erfrischt und umgekleidet, und sie begaben sich in den Speisesaal, wo Calidor sie erwartete. Das Feuer im Kamin und die Fackeln an den Wänden tauchten den Raum in ein flackerndes
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