Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder der Drachen

Brüder der Drachen

Titel: Brüder der Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Weissbecker
Vom Netzwerk:
Geisterstadt besucht. Bereits in Car-Gonaredh hatte er Gerüchte über diesen Ort gehört – eine Stadt, scheinbar unbewohnt, und doch erfüllt von einer allgegenwärtigen Präsenz ihrer einstigen Bewohner. Häuser hatte er dort gesehen, die völlig intakt erschienen, so als seien sie erst vor kurzer Zeit verlassen worden. Und in ihnen hatten sie zuweilen Geräusche gehört – Stimmen, Rufe, das Lachen von Kindern. Niemand konnte heute mehr sagen, wie die Katastrophe diesen Ort getroffen hatte, wie es geschehen konnte, dass die Häuser unbeschadet geblieben waren, während die Menschen darin starben. Rhya schien vor den Schemen und Geistern keine Angst empfunden zu haben, Jandaldon hatte es jedoch nicht bedauert, dass sie der Stadt schon bald den Rücken zugewandt hatten.
    Sechs Tage waren sie dem Verlauf des Flusses gefolgt, so gut es eben möglich war. Längst war der alte Treidelpfad nicht mehr begehbar, denn der Fluss hatte seinen Lauf in den letzten Jahrhunderten mehrfach geändert. Oft waren sie zwischen toten Bäumen hindurchgeritten, die manchmal vereinzelt standen oder gelegentlich auch ganze Wälder bildeten. Die Bäume waren geisterhafte Erscheinungen – verblichene Gerippe, die von einer Zeit zu flüstern schienen, als dieses Land noch lebendig war. Zumindest mangelte es ihnen so nie an trockenem Holz, trotzdem entzündeten sie nur selten ein Feuer, und die meiste Zeit ernährten sie sich von den Vorräten, die sie aus Car-Gonaredh mitgebracht hatten. Nur einmal hatten sie eine Sandechse erlegt und gebraten, denn Jandaldon war neugierig gewesen, ob die kleinen Tiere genauso schmecken würden wie ihre Verwandten im Norden.
    Wenige Reisende waren ihnen während der letzten Tage begegnet. Einsame Wanderer waren es zumeist gewesen, die mit unbekanntem Ziel das Land durchstreiften. Doch so verwegen diese Fremden auch ausgesehen hatten, alle hatten sie respektvoll gegrüßt, als sie die Priesterin erblickt hatten. Immer mehr wunderte sich Jandaldon über die junge Frau, die ihm nach sechs Tagen bereits so vertraut erschien, als kenne er sie schon seit langer Zeit. Nach so vielen einsamen Jahren im Drachenland war sein Leben nun plötzlich wieder voller Veränderungen. Den Anfang hatte der Engel gemacht – zum ersten Mal seit Jahren hatte er mit jemandem sprechen können, der ihm zuhörte, ohne ihn für verrückt zu halten. Dann hatte er einige Tage mit Tan-Thalion und seinen Gefährten verbracht, auch wenn er diesen nie wirklich nahegekommen war. Nur Tirandor, der berühmte Heiler, war eine Ausnahme gewesen, denn dieser hatte wenigstens Interesse und Fürsorge gezeigt. Jandaldon dachte kaum noch an den Zauberer und die anderen, die irgendwelche unsinnigen Pläne verfolgt hatten. Auch die Erinnerung an seine Reisegefährten auf dem langen Weg bis zur Küste des Nordkontinents war inzwischen verblasst.
    Erst Halfas, der lebenslustige Kapitän, war mehr für ihn gewesen als nur eine Zufallsbegegnung. Ja, Halfas war wirklich ein Freund für ihn geworden. Und nun war die junge Priesterin in sein Leben getreten. Sie hatte ihn ohne zu zögern auf diese Reise mitgenommen, schien sich nichts dabei zu denken, allein mit einem fremden Mann durch die Wildnis zu reisen. Als er ihr von seinen Plänen erzählt hatte, den Tod im ewigen Feuer zu suchen, da hatte er Sorge und Bekümmerung in ihren Augen gesehen. Warum sollte sich diese Frau um ihn sorgen, obwohl sie ihn überhaupt nicht kannte? Seit sie zu ihrer gemeinsamen Reise aufgebrochen waren, hatte sie allerdings nicht mehr versucht, ihn von seinen Absichten abzubringen. Sie hatte seinen Wunsch, den Tod zu finden, mit keinem Wort mehr zur Sprache gebracht. Also war es ihr wohl doch gleichgültig, was ihm widerfahren würde. Hätte sie ihn sonst so bereitwillig auf diese Reise mitgenommen? Immer wieder ertappte Jandaldon sich dabei, wie er diesen Gedanken nachging, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Aber was machte es schon aus, ob sie sich um ihn sorgte? Er wollte sterben, egal ob man ihn dabei betrauerte oder nicht. Andererseits musste er sich selbst eingestehen, dass er die Nähe dieser Frau genoss. Sie wirkte immer noch fremdartig auf ihn, wenn er ihren kahlen Schädel betrachtete, aber inzwischen hatte er bemerkt, dass sich hinter ihrem strengen Äußeren ein heiteres und jugendliches Wesen verbarg. Sie faszinierte ihn, und manchmal steckte ihre spontane Fröhlichkeit ihn sogar an, wenn sie über die kleinen Sandechsen lachte, oder über einen Sonnenstrahl, der

Weitere Kostenlose Bücher