Brüder Des Zorns
Sie waren ausnahmslos hochgewachsen, blond und gehörten zur Shasinnelite. Ihre kunstvoll verzierten Speere, deren Stahlspitzen ein Rand aus Bronze umgab, und die langen schwarzen Schilde unterstrichen den kriegerischen Anblick der Männer. Sie legten viel Wert auf ihr Äußeres und trugen kostbaren Schmuck. Da sie sich auf ihren Mut genauso viel einbildeten wie auf ihr Aussehen, verzichteten sie auf jede Rüstung.
»Komm mit«, sagte Gasam. »Ich möchte dir etwas zeigen.« Er legte ihr den Arm um die Schultern, während sie seine schmalen Hüften umschlang. So betraten sie den Palast.
Die Wände des großen Thronsaals waren mit farbenprächtigen Gemälden im chiwanischen Stil bedeckt. Einheimische Priester mit hohem Federkopfputz verneigten sich beim Eintreten des Königspaares. Sklaven aller Rassen waren mit den ihnen auferlegten Pflichten beschäftigt oder standen als Blickfang herum. Manche wurden nur auf Grund ihrer Schönheit ausgewählt und dienten keinem anderen Zweck, als den passenden Hintergrund für das Herrscherpaar abzugeben. Bis auf die Leibwache entließ Gasam sämtliche Anwesenden, die sich unter tiefen Verneigungen entfernten.
Als sich die Tür schloss, wandte Gasam seine Aufmerksamkeit dem Fußboden zu, den ein großes Mosaik der bisher bekannten Welt bedeckte. Die Kunst der Chiwaner hatte dafür nicht ausgereicht, und so hatte Gasam eine Gruppe nevanischer Kartographen und Künstler hinzugezogen. Der König schritt entlang der von ihm eroberten Länder, die in Schwarz eingesetzt waren. Sie beschrieben einen großen Halbmond, der bei den nördlichsten Inseln des Westmeeres begann, sich nach Süden bog und schließlich wieder nach Osten zum Festland hin, wo er Chiwa und ein paar kleinere Gebiete umfasste. Ein aus Kristallen gebildeter Gebirgszug gebot der schwarzen Flut Einhalt. Östlich der Berge, in einem breiten, von Flüssen durchzogenen Tal, lag das Reich Sono und dahinter die Hochebene von Gran. Gasam ging bis zur Kristallgrenze und blieb stehen.
»Meine Krieger haben in diesem Jahr gefaulenzt, und das ist schlecht. Es gibt Länder, die noch nicht erobert sind, und das ist auch schlecht. Ich werde beides ändern. Meine Späher haben das Gebirge ausgekundschaftet. Es gibt drei Pässe …« – er tippte mit der Zehe auf die entsprechenden Stellen – »… die einem Heer die Überquerung ermöglichen. Ich werde meine Truppen einem neuen Sieg entgegenführen. Noch heute ergeht der Befehl an alle Einheiten.«
Die Königin betrachtete die Karte. »Durch die Berge? Wäre eine Invasion zur See nicht einfacher und schneller?«
»Ich werde die Flotte ausschicken, hauptsächlich mit chiwanischen Seeleuten an Bord, um die Hafenstädte zu erobern. Die Südküste ist mit furchtbaren Krankheiten verseucht, die wir nicht einmal kennen. Ich würde mehr Krieger durch Seuchen als durch Kämpfe verlieren.«
Er wandte sich wieder den Bergen zu. »Wie dem auch sei, eine harte, anstrengende Zeit wird den Männern gut tun. Nichts ist schlimmer als zu lange Friedenszeiten, und ein zu leichter Sieg ist auch nicht viel besser. Seit Jahrhunderten werden diese Pässe für den Handel und bei Kriegen benutzt. Sie sind gut ausgebaut, und meine Späher kennen alle Städte, Wasserstellen und Rastplätze entlang des Weges. Kein einziger Pass ist breit genug für die ganze Armee, deshalb marschieren wir auf allen drei Routen. Ich führe die Nordtruppen an. Meine beiden besten Generäle übernehmen die anderen Soldaten. Ich überquere den Pass und treibe alles vor mir her, bis wir den großen Fluss erreichen. Dort wende ich mich nach Süden und stoße zu den beiden anderen. Wie viele Soldaten aus Sono auch zwischen uns stehen, wir werden sie wie Nuss-Schalen zermalmen. Sind wir erst vereint, setzen wir über den Fluss und marschieren auf die Hauptstadt.«
»Ein ehrgeiziger Plan«, bemerkte die Königin. »Ist es wirklich klug, die Armee in drei Gruppen aufzuteilen?«
»Vielleicht nicht klug, aber ausgesprochen kühn«, erklärte der König. »Niemand hat es je zuvor gewagt. Die Einheiten werden durch berittene Boten untereinander in Verbindung bleiben.« Gasam besaß eine Reitertruppe, die aus den schnellsten Cabos und ausdauerndsten Männern seines Reiches bestand.
»Was glaubst du, wie lange es dauern wird?« Sie war klug genug, um eine Niederlage nicht einmal anzudeuten.
»Eine Jahreszeit. Wir marschieren, sobald der Regen nachlässt, in ungefähr zwanzig Tagen. Ich beabsichtige, noch vor der nächsten Regenzeit
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