Brüder Des Zorns
dafür gesorgt, dass er sich bisher nur im Süden ausbreiten konnte.
»Sie ist – wie immer – überaus höflich«, sagte Larissa. »Nennt mich ›Schwester‹ und führt sich auf, als wären wir die besten Freundinnen.«
»Auf eine Art seid ihr das«, meinte Gasam. »Feinde können sich als die unterhaltsamsten Freunde erweisen. Eure Beziehung ist recht pikant. Schließlich war sie einmal deine Sklavin.«
»Daran erinnere ich sie nicht mehr. Ein durch den Krieg hervorgerufener Zwischenfall. Sie betrachtete sich nie als Sklavin, nur als Gefangene.« Die Königin legte den Ellbogen auf die Brüstung und stützte das Kinn auf die Handfläche. »Sie war eine entzückende Kreatur. Ich hätte sie gern behalten.«
»Ich auch«, sagte Gasam nachdenklich. »Dieses Weib und mein Ziehbruder Hael sind schuld, dass ich noch nicht die ganze Welt regiere.«
»Vielleicht«, antwortete Larissa mit verträumter Stimme. »Allerdings hat sich die Welt als bedeutend größer erwiesen, als wir glaubten.«
»Wie wahr. Außerdem: Hätte ich sie schon jetzt erobert, was finge ich mit dem Rest meiner Zeit an?« Er grinste. Da sich Larissa vornüber auf die Brüstung lehnte, zeigte sie ihm ihr Hinterteil, das noch ebenso schön war wie damals, als sie noch ein junges Mädchen war. Leider glaubte sie ihm nicht, wenn er es ihr von Zeit zu Zeit sagte. Er stand auf, trat neben sie und schlang den Arm um ihre Hüfte.
»Was schreibt sie noch?«
Larissa runzelte die Stirn. »Ihr Vetter, der neue König von Omia, ist ebenso närrisch wie sein Vorgänger; in diesem Jahr sind Kleider aus schwarzer Seide, mit rosa Perlen bestickt, große Mode; das Heer wird jetzt mit Stahlwaffen ausgerüstet.«
»Sieht ihr ähnlich, letzteres nebenbei zu erwähnen.«
Gasam wickelte sich eine Strähne ihres seidigen aschblonden Haares um die Finger und genoss das Gefühl.
»Woher bekommt er es, Larissa? Wie kommt ein Häuptling der Steppennomaden an das kostbarste Metall der Welt?« Diese Frage bewegte ihn seit Jahren.
»Meine Spione sind sicher, dass es aus dem südlichen Teil der Wüste stammt, unweit der Grenze zum Giftigen Land und nördlich vom Gebiet der Schluchtler.«
»Ein riesiges Gebiet, ganz ohne Wasser. Ohne den genauen Standort zu kennen, wird auch die erfahrenste militärische Expedition in einer Katastrophe enden. Das Risiko ist mir zu groß. Meine Leute folgen mir bedingungslos, aber ihre Begeisterung ließe schnell nach, wenn mein Ruf der Unbesiegbarkeit litte.«
»Wie gut, dass du daran denkst, mein Lieber«, meinte die Königin und richtete sich auf. »Überlass es den Dichtern, deine Göttlichkeit anzupreisen. Mut, mit Stärke und Klugheit gepaart, hat uns so weit gebracht.« Sie sah über die wunderschöne Stadt, die umliegenden Felder und den rauchenden Berg hinaus. »Du hast in der Tat viel erreicht.«
Das ganze Gebiet gehörte einst zum Königreich Chiwa. Vor einigen Jahren war Gasam als Piratenkönig hierhergekommen, als der Mann, der die Nordinseln des Sturmlandes einte und jetzt nach Eroberungen im Süden lechzte. Anfangs riss er nur ein paar Inseln vor der Küste Chiwas an sich und schloss ein Bündnis mit dem König, um dessen Rivalen auf anderen Inseln und im Südosten zu beseitigen. Mit Gasams Hilfe sehr zufrieden, hatte der König dessen Krieger angeworben, um Aufstände im eigenen Land niederzuschlagen. Nach kurzer Zeit unterwanderten Gasams Männer sämtliche Truppen, die über ganz Chiwa verteilt waren. Er entledigte sich des Königs und riss die Macht an sich. Natürlich war das nicht ohne Blutvergießen unter der Aristokratie abgegangen, aber das Volk hatte ihm keine Schwierigkeiten bereitet. Es war an Tyrannen gewöhnt.
Chiwa war ein schönes und farbenprächtiges Land. Nur das tropische Klima im Tiefland behagte Gasam nicht. Noch ein Grund, weshalb er sein Hauptquartier in die Berge verlegt hatte. Hier oben war die Luft rein und klar; bunte Blumen wuchsen in Hülle und Fülle, und seine Krieger und das Vieh blieben gesund und kräftig. Er begab sich nur zur Küste, wenn er an Piratenzügen teilnahm.
Sein ganzer Ehrgeiz richtete sich in letzter Zeit nach Osten. Die wohlhabenden, unverschämten Dschungelreiche Sono und Gran lockten. Das bedeutete: Krieg in den Tropen, den er gern vermieden hätte, aber da er vor seinem Tod die ganze Welt erobern wollte, musste er seinen Siegeszug in den benachbarten Gebieten fortsetzen.
Der König richtete sich auf, und die Krieger, die hinter seinem Stuhl warteten, standen stramm.
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