Brüder Des Zorns
treiben sie uns mitsamt ihren Herden in die Arme. Während des Marsches haben wir gut gelebt. Natürlich ließ ich die Männer nicht allzu viel tragen, um ihr Tempo nicht zu beeinträchtigen, aber sie durften sich jeden Tag auf eine gute Abendmahlzeit freuen. Als wir den Fluss erreichten, ließ ich das Lager errichten, und wir trugen die Habe der ganzen Gegend zusammen. Weißt du, warum ich das tat?«
»Weil du ein bequemes Leben liebst?«
Urlik grinste. »Liebt das nicht jeder Mann? Nein, es lieferte mir eine Entschuldigung, um hier zu bleiben. Die Sonoaner sahen, was wir hier schützten, und kamen gar nicht auf die Idee, es könne sich um einen Vorwand handeln. Sie nahmen an, dass nur ein riesiges Heer soviel Beute machen kann.«
»Das hätte ich an ihrer Stelle auch gedacht«, meinte Gasam. »Früher haben wir nur so viel erbeutet, wenn wir eine große Stadt eroberten.« Er lehnte sich im Stuhl zurück und genoss den Wein, der seine trockene Kehle erfrischte.
»Was geschieht jetzt?« erkundigte sich Urlik.
»Wir bleiben ein paar Tage hier. Männer und Tiere haben wunde Füße und brauchen ein wenig Ruhe. Heute Abend dürfen sie feiern. Morgen erholen sie sich von der Feier. Übermorgen bringen wir wieder Ordnung in die Truppen. Dann müssen wir eine geeignete Furt ausfindig machen.«
»Ich hörte, dass es zwei Tagesmärsche südlich von hier eine Brücke gibt«, erklärte Urlik.
»Dann schicken wir morgen Reiter aus, um sie zu sichern.« Gasam dachte eine Weile nach. »Ich sende eine Truppe meiner Chiwaner zur Bewachung dorthin. Sonst kommt noch jemand auf den Gedanken, sie vor unserer Ankunft zu zerstören.«
»Ja, die Gefahr besteht«, nickte Urlik. Ihm fiel auf, dass der König ungewöhnlich melancholisch wirkte. »Bedrückt dich etwas, mein König?«
»Ich wünschte, Larissa wäre hier«, antwortete Gasam und deutete auf die grässliche Szene am Fluss. »Sie verpasst das alles.«
»Wir alle vermissen die Königin«, sagte Urlik. Er hatte noch kein Paar erlebt, das so aneinander hing wie Gasam und Larissa. Sie waren anders als andere Menschen.
In jener Nacht herrschte unbeschreiblicher Trubel im Lager. Außer Essen, Trinken und der Vergewaltigung der einheimischen Frauen, die Urliks Reiter zusammengetrieben hatten, gab es noch andere Vergnügungen. Unter Gasams Anhängern gab es viele, die sich an Folterungen ergötzten, und andere, deren Religionen Menschenopfer zum Dank für den Sieg forderten. Für alle gab es genügend Gefangene, an denen sie sich austoben durften.
Seit langem belohnte Gasam seine Männer auf diese Weise für einen Sieg, hatte aber strenge Vorschriften erlassen. Schlägereien waren verboten. Wenn Kämpfe ausbrachen, wurde jeder Teilnehmer auf der Stelle getötet. Wenn die Krieger ihre religiösen Zeremonien abhielten, durfte weder Magie noch Wahrsagerei ausgeübt werden, da er derlei seiner Autorität und der allgemeinen Moral für abträglich hielt.
Nach Mitternacht loderten die Feuer noch immer hell empor, und die Schreie der Opfer gellten durch die Nacht. Mit bekümmerter Miene näherte sich Luo dem König. Gasam lag in seinem Stuhl, die Augen blutunterlaufen, die Lider geschwollen. Er hatte ungewöhnlich viel gegessen und getrunken.
»Mein König«, begann Luo zögernd, »dort hinten unter den Bäumen geht etwas Furchtbares vor sich. Es handelt sich um die Krieger aus dem Süden, unter anderem auch um die Frauen.« Er deutete auf ein Wäldchen in ungefähr hundert Schritten Entfernung vom Lager. Das flackernde Licht eines Feuers drang durch die Bäume.
Gasam runzelte die Stirn. »Prügeln sie sich?«
»Schlimmer. Sie haben ein paar Gefangene mitgenommen.«
»Na und? Sollen sie sich amüsieren. Ich befahl, dass morgen früh keine Gefangenen mehr am Leben sein dürfen.«
»Nun, es ist etwas anderes«, sagte Luo mit unverhohlenem Widerwillen. »Sie … nun, sie essen die Gefangenen!«
Gasam wirkte nicht entsetzt, sondern fasziniert. »Wirklich? Darüber vernahm ich Gerüchte, habe sie aber nicht geglaubt. Es muss zu einem Ritual gehören. Schließlich haben wir genügend Fleischvorräte im Lager.«
»Willst du nichts dagegen unternehmen?« wollte Luo wissen.
»Warum sollte ich? Sie verstoßen gegen keinen Befehl. Außerdem reisen Gerüchte noch schneller als mein Heer. Diese nette Sitte wird noch mehr Furcht mit meinem Namen verbinden und meine Feinde noch stärker erzittern lassen. Feinde und Gefangene sind nichts als Vieh, also können sie auch ruhig verzehrt werden.
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