Brüder Des Zorns
Lass sie in Ruhe speisen, Luo.«
Der Offizier zog sich bekümmert zurück. Gasam wusste, dass die Shasinn nicht mochten, dass er anderen Rassen besondere Freiheiten gewährte. Sie neideten den Kriegerinnen die Gunst des Königs. Solange sie gehorchten, war ihm ihre Unzufriedenheit egal. Schwerfällig stand er auf und schritt auf das Wäldchen zu, aus dem eigenartige Geräusche drangen. Diese Geschehnisse musste er mit eigenen Augen beobachten.
KAPITEL ACHT
W ie der Kaufmann Samis versprochen hatte, erwies sich das Hochland von Gran als bedeutend angenehmer als der Dschungel, durch den sie bisher gereist waren.
Es gab weniger dichten Bewuchs, der zudem teilweise gerodet worden war. Außerdem lebten hier viel mehr Menschen, und die sanften Hügel waren von sorgfältig bearbeiteten Feldern bedeckt, die unter den Händen der Bauern gediehen. Alle paar Meilen stießen sie auf ein Dorf oder eine kleine Stadt und entdeckten die ersten der sagenumwobenen Tempel des Landes.
Die Gebäude waren von unterschiedlicher Form und Bauweise, aber stets schien die Höhe eine besondere Rolle zu spielen. Manche sahen wie Pyramiden aus, die sich auf rechteckigem oder gar dreieckigem Grundriss nach oben hin verjüngten. Andere waren kegelförmige Türme mit spiraligen Treppen oder Rampen. Aus jeder Tempelspitze stieg Rauch auf, und oft erblickten die Reisenden Prozessionen.
Ansa war zufrieden. Er hatte hochentwickelte fremde Länder sehen wollen, und das war der Anfang. Sie ritten über eine gut gepflasterte Straße, die in der Mitte eine geringe Wölbung aufwies, damit das Wasser ablaufen konnte, und an den Seiten von Randsteinen begrenzt wurde.
In diesem Teil des Landes herrschte vorbildliche Ordnung, und in regelmäßigen Abständen erreichten sie gut ausgestattete Rastplätze, wo sie die Nacht verbringen konnten, ohne sich in ein Dorf zwängen oder auf dem Land eines widerwilligen Bauern kampieren zu müssen.
Einmal ritten sie an einem Militärlager vorbei, und Ansa blieb eine Weile stehen, um mehreren hundert Soldaten beim Exerzieren zuzuschauen. Die Männer trugen wattierte Brustpanzer aus Bambusstäben und die Offiziere Rüstungen aus Leder, die mit Bronze gepanzert waren. Ihre Bronzehelme waren mit hohen Federbüschen verziert.
Die abgehackt wirkenden Bewegungen empfand Ansa als merkwürdig, da er nur an die berittenen Bogenschützen seines Vaterlandes gewöhnt war. Das Marschieren in langen Reihen sah seltsam und unsinnig aus. Er konnte sich nicht vorstellen, wie die Soldaten auf freiem Feld kämpfen sollten. Auf Trompetensignale machten sie kehrt, blieben stehen, hoben und senkten die Speere, bildeten eine Mauer aus Schilden oder gingen rückwärts. Die erste Reihe kniete hinter den Schilden nieder, und die beiden Reihen dahinter hielten dem Angreifer eine Hecke aus Speerspitzen entgegen. Dann wieder hoben alle Soldaten die Schilde über den Kopf, so dass ein schützendes Dach entstand.
Es war faszinierend anzusehen, musste aber für einen Soldaten furchtbar langweilig sein, dachte Ansa. Das stete Wiederholen der gleichen Übungen erschien ihm geistlos. Aber vielleicht war gerade das beabsichtigt. Sein Vater und andere Männer, die sich schon einmal in zivilisierten Ländern aufgehalten hatten, berichteten immer wieder, dass es bei dieser Art des Kampfes nur auf einen Willen ankam, auf den des Anführers. Trotzdem sah es langweilig aus.
»Morgen erreichen wir die Hauptstadt«, sagte er zu Fyana.
»Ich weiß.« Sie wirkte niedergeschlagen, was er nicht verstand. Die Aussicht, endlich eine große Stadt kennen zu lernen, erfüllte ihn mit Vorfreude.
»Der Gedanke scheint dir nicht zu behagen.«
»Stimmt. Mir ist alles so fremd. Es gefällt mir nicht, und ich befürchte, in einer Stadt wird es noch eigenartiger sein.«
»Mir ist es nicht weniger fremd«, meinte Ansa, »aber ich finde es aufregend, eben weil es neu und ganz anders als alles ist, was ich bisher erlebte.«
»Du stammst von einem Nomadenvolk ab«, erklärte Fyana. »Wir Schluchtler sind völlig anders. Wir verlassen unsere Heimat nur selten. Ich glaube, wir sind so mit unserem Land verwachsen, dass wir in der Ferne verkümmern.« Sie schwieg eine Weile. »Ich bin froh, dass du bei mir bist. Dir macht unsere Unternehmung wenigstens Spaß.«
Ansa war überrascht. Bisher war seine Gefährtin selbstbewusst, kühl und beinahe schon bis zur Arroganz beherrscht gewesen, wie man es ihrem Volk nachsagte. Jetzt, fern von der Heimat und ihren Angehörigen,
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