Brüder Des Zorns
wurde sie menschlicher und kam Ansa wie ein unsicheres junges Mädchen vor.
»Es geht vorbei«, versicherte er ihr. »Es dauert eine Weile, bis man sich an das neue Leben gewöhnt. Bisher warst du nie von deinem Volk getrennt. Nach geraumer Zeit wirst du die Veränderungen genießen, und dein früheres Leben wird dir vergleichsweise langweilig vorkommen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.« Sie lächelte plötzlich. »Danke, dass du mir Trost spendest. Ich wollte dir keine missmutige Gefährtin sein.«
»Denke immer daran, dass ich dich beschütze. Dir kann nichts Schlimmes geschehen.«
»Ich will daran denken.« Sie lächelte noch immer.
Trotz seiner stetig wachsenden Erfahrung überwältigte ihn der Anblick der Stadt. Der Ort, dessen Name übersetzt nichts anderes als ›die große Stadt‹ bedeutete, lag auf einer riesigen, von Bergen umgebenen Ebene. Von einigen Bergspitzen stieg Rauch auf.
Als sie heranritten, ging die Sonne hinter der Stadt auf, und zuerst dachte Ansa, einen seltsam geformten Berg vor sich zu haben. Erst als sie näher kamen, begriff er, dass er ein von Menschenhand geschaffenes Gebilde vor sich sah. Die hohe Mauer war nicht glatt, sondern stieg schräg empor bis zu einer Brüstung etwa siebzig oder achtzig Fuß über dem Boden. Die Mauer war von Pflanzen überwuchert, und kleine Bäume hier und da verstärkten noch den Eindruck, es handele sich um einen Berg.
Über der Brüstung erhoben sich unbeschreiblich viele Gebäude, die an den Hängen eines natürlichen oder künstlichen Hügels klebten. Ansa konnte keine Einzelheiten erkennen, aber die auffallendsten Gebäude schienen die allseits beliebten Tempel zu sein. Genau in der Mitte des Ortes stand ein kegelförmiger Tempel, dessen Spitze wie eine Spirale zulief. Er war höher als alle anderen Gebäude und wurde an Masse nur noch von der Stadtmauer übertroffen.
Als sie nicht mehr weit von der Stadt entfernt waren, befanden sie sich nach kurzer Zeit eingekeilt in einem Gewühl aus Karawanen, Bauernkarren und Wanderern.
Manche der Lasttiere waren Ansa gänzlich unbekannt, obwohl die meisten zu den Bucklern und Nusks gehörten, die es in einer unglaublichen Vielfalt gab. Er sah nur wenige Cabos, stellte aber erleichtert fest, dass sie seinem Tier fast bis aufs Haar glichen. Offenbar gehörte das Cabo zu den Rassen, die überall gleich aussahen.
Der Anblick des seltsamen, hoch über ihm aufragenden Ortes raubte Ansa viel von seiner früheren Selbstsicherheit. Die wie ein steinernes Ungeheuer brütenden Mauern schüchterten ihn ein, und er war sicher, dass das Volk, das einen solchen Ort erbaut hatte, vollkommen anders war als alle, die er bisher kennen gelernt hatte. Wie mochten diese Menschen aussehen?
Auch bei näherer Betrachtung der Mauer fühlte er sich nicht besser. Die riesigen Grundsteine zu beiden Seiten des Stadttores waren mindestens zehn Fuß hoch und vierzig Fuß lang. Ansa vermochte sich nicht vorzustellen, mit welchem Arbeitsaufwand man sie aus dem Steinbruch gehauen und transportiert, geschweige denn, wie man sie zu einer Mauer zusammengefügt hatte. Er wies Fyana darauf hin, die neben ihm ritt.
»Bestimmt kann man so etwas nur mit Magie bewältigen«, meinte er.
Sie schüttelte den Kopf, ebenso ratlos wie er. »Ich weiß es nicht. Riesen müssen die Arbeit erledigt haben.«
Die Torflügel aus dicken Holzbalken waren mit Bronze beschlagen. Dahinter führte die Straße wie eine Rampe bergauf und endete auf einem riesigen Marktplatz, der mit Pferchen und Ständen übersät war. Am Rand des freien Platzes standen Lagerhäuser und Geschäfte größerer Händler.
Sie hatten sich von ihren Reisegefährten verabschiedet. Obwohl sie hier fremd waren, machten ihnen die Leute auf dem Markt bereitwillig Platz und verhielten sich fast schon untertänig. Anscheinend galten Caboreiter als wohlhabend oder gar als Adlige. Einmal begegnete ihnen eine größere Gruppe Reiter, und Ansa sah zum ersten Mal die vornehmen Krieger, von denen Samis erzählt hatte.
Ihre Hautfarbe war so dunkel wie die der anderen Einheimischen, aber die Gesichter waren feiner geschnitten, mit Hakennasen und dünnen Lippen. Das schwarze Haar fiel in Wellen bis auf die Schultern, und keiner der Reiter trug den weiten Lendenschurz, das Kleidungsstück der unteren Klassen, sondern enganliegende Hosen sowie Hemden mit kurzen, kunstvoll bestickten Lederwesten. Lange, schmale Schwerter mit verzierten Griffen steckten in den Scheiden, und sämtliche Reiter trugen
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