Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
höfliches Interesse. Sein Großvater sagte, er könne auch Priester werden, da er ja eher dem Theoretischen als dem Praktischen zuneige. »Den Betrieb kann auch Augustin übernehmen«, sagte er. »Oder wir verkaufen ihn. Ich bin nicht sentimental. Es gibt noch andere Berufe als den des Brauers.«
Als Maximilien zehn Jahre alt war, machte man den Abt von Saint-Waast auf die Familie aufmerksam. Er befragte Maximilien persönlich und war nicht sonderlich von ihm angetan. Trotz seiner zurückhaltenden Art schien er für die Ansichten des Abtes Verachtung zu empfinden, so als hätte er Höheres im Sinn und als erwarteten ihn anderswo vielfältige Aufgaben. Andererseits lag auf der Hand, dass hier eine ausgeprägte Intelligenz zu verkümmern drohte. Dem Abt war immerhin bewusst, dass der Junge an den Missgeschicken in seinem Leben keine Schuld trug. Man konnte etwas für ihn tun; er besuchte seit drei Jahren die Schule in Arras, und seine Lehrer waren voll des Lobes über sein Fortkommen und seinen Fleiß.
Der Abt verschaffte ihm ein Stipendium. Er hatte nicht in kleinen Kategorien gedacht, als er sagte: »Ich werde etwas für dich tun.« Louis-le-Grand sollte es sein, die beste Schule des Landes, an der die Söhne des Adels ihre Ausbildung erhielten – eine Schule, die an Begabten interessiert war und an der es auch ein Junge aus bescheidenen Verhältnissen zu etwas bringen konnte. So der Abt, der seinerseits an harter Arbeit, blindem Gehorsam und ewiger Dankbarkeit Gefallen fand.
Maximilien sagte zu seiner Tante Henriette: »Wenn ich weggehe, musst du mir schreiben.«
»Natürlich.«
»Und Charlotte und Henriette sollen mir bitte auch schreiben.«
»Dafür werde ich sorgen.«
»In Paris werde ich sicher viele neue Freunde finden.«
»Bestimmt.«
»Und wenn ich erwachsen bin, werde ich für meine Schwestern und meinen Bruder sorgen. Dann muss das niemand anders mehr machen.«
»Und was ist mit deinen alten Tanten?«
»Für euch auch. Wir werden in einem großen Haus zusammen wohnen. Und uns nie mehr streiten.«
Sehr wahrscheinlich, dachte sie. Sie fragte sich: Ist es richtig, dass er geht? Er war noch so klein mit seinen zwölf Jahren, so leise und zurückhaltend; sie hatte Angst, dass man ihn außerhalb des Hauses seines Großvaters überhaupt nicht wahrnehmen würde.
Aber nein – natürlich musste er gehen. Solche Gelegenheiten boten sich wahrlich nicht oft; man musste vorwärtskommen im Leben, da half es nichts, sich am Schürzenband einer Frau festzuklammern. Manchmal erinnerte er sie an seine Mutter: Er hatte die gleichen meerfarbenen Augen, die das Licht einzufangen schienen. Ich habe nie etwas gegen das Mädchen gehabt, dachte sie. Jacqueline hatte ein weiches Herz.
Im Sommer 1769 arbeitete er an seinem Latein und Griechisch. Er gab die Versorgung der Tauben in die Hände eines Nachbarmädchens, das wenig älter war als er. Im Oktober fuhr er.
In Guise war es unter den Augen der de Viefvilles mit Maître Desmoulins’ Karriere vorangegangen. Er war Richter geworden. Abends nach dem Essen saßen er und Madeleine da und schauten einander an. Das Geld war immer knapp.
1767 – Armand hatte gerade laufen gelernt, und Anne-Clothilde war das jüngste Kind der Familie – sagte Jean-Nicolas zu seiner Frau: »Camille sollte woanders zur Schule gehen.«
Camille war mittlerweile sieben. Er folgte seinem Vater weiterhin durchs Haus, redete nach de Viefvillescher Manier unablässig und ließ kein gutes Haar an Jean-Nicolas’ Ansichten.
»Er sollte nach Cateau-Cambrésis gehen«, sagte Jean-Nicolas. »Zu seinen kleinen Vettern. Es ist ja nicht weit von hier.«
Madeleine hatte sehr viel zu tun. Das älteste Mädchen war dauernd krank, die Bediensteten nutzten sie aus, und das Haushaltsbudget war so schmal, dass zeitaufwendige Sparmaßnahmen erforderlich waren. Jean-Nicolas erwartete von ihr, dass sie das alles bewältigte, und außerdem sollte sie sich auch noch um seine Gefühle kümmern.
»Ist er nicht ein bisschen jung, um die Bürde deiner unerfüllten Ambitionen zu tragen?«, fragte sie.
Denn bei Jean-Nicolas hatte die Verbitterung eingesetzt. Er hatte sich seine Tagträumerei selbst ausgetrieben. Wenige Jahre später sollten ihn am Gericht von Guise vielversprechende junge Anwälte fragen: Warum haben Sie sich bei Ihrer unbezweifelbaren Begabung eigentlich mit diesem eingeschränkten Wirkungskreis zufriedengegeben, Monsieur? Worauf er sie anfuhr, ihm genüge seine eigene Provinz, und auch ihnen
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