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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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erklärte, er sei schon als Siebenjähriger auf ein Internat geschickt worden und kenne seine Familie daher schriftlich besser als im wirklichen Leben. Die einzelnen Briefe, die er zur allseitigen Unterhaltung vorlas, glichen Kapiteln eines Buches, sodass seine Freunde die Verwandten bald als Romanfiguren zu sehen begannen. Manchmal wurde die ganze Gruppe angesichts von Sätzen wie: »Deine Mutter hofft, dass du bei der Beichte warst« von einer absurden Heiterkeit erfasst, und dann wiederholten sie einander den Satz noch tagelang mit Lachtränen in den Augen. Camille erzählte, sein Vater schreibe an einer Enzyklopädie des Rechts . Seiner Ansicht nach diente das ganze Projekt nur als Vorwand, damit sein Vater sich abends nicht mit seiner Mutter unterhalten müsse. Er habe den Verdacht, dass sein Vater sich mit der Enzyklopädie einschloss, um dann das zu lesen, was Pater Proyart, der Direktor des Collège, »liederliche Literatur« nannte.
    Camille beantwortete diese Briefe, indem er seinerseits Blatt um Blatt mit seiner formlosen Handschrift bedeckte. Er bewahrte die gesamte Korrespondenz auf, um sie später zu veröffentlichen.
    »Versuche, folgende Tatsache zu verinnerlichen, Maximilien«, sagte Pater Herivaux. »Die meisten Menschen sind bequem und übernehmen einfach die Meinung, die man selbst von sich hat. Du solltest also eine möglichst hohe Meinung von dir haben.«
    Für Camille war das nie ein Problem gewesen. Er hatte ein besonderes Geschick dafür, sich mit älteren, aus einflussreichen Familien stammenden Schülern zusammenzutun, dafür zu sorgen, dass man sich gern mit ihm schmückte. So nahm sich der fünf Jahre ältere Stanislas Fréron seiner an, der nach seinem Paten, dem König von Polen, benannt war. Frérons Familie war reich und gebildet, sein Onkel ein bekannter Gegner Voltaires. Als Sechsjährigen hatte man ihn nach Versailles mitgenommen, wo er für Mesdames Adelaide, Sophie und Victoire, die Töchter des alten Königs, ein Gedicht aufgesagt hatte; sie hatten viel Aufhebens um ihn gemacht und ihm Süßigkeiten geschenkt. Fréron sagte zu Camille: »Wenn du größer bist, werde ich dich in die Gesellschaft einführen und deine Karriere sichern.«
    War Camille dankbar? Das konnte man nicht gerade behaupten. Er quittierte Frérons Ideen mit Hohn und Spott. Fing an, ihn »Karnickel« zu nennen. In Fréron keimte eine gewisse Verunsicherung auf. Ab und zu stellte er sich vor den Spiegel und überprüfte, ob er schüchtern aussah oder vorstehende Zähne hatte.
    Dann gab es da Louis Suleau, einen zur Ironie neigenden Jungen, der lächelte, wenn die jungen Adligen den Status quo verunglimpften. Es ist sehr lehrreich, erklärte er, mitanzusehen, wie sich Menschen selbst das Wasser abgraben. Noch zu unseren Lebzeiten wird es einen Krieg geben, sagte er zu Camille, und wir werden auf entgegengesetzten Seiten stehen. Lass uns also nett zueinander sein, solange wir können.
    Camille sagte zu Pater Herivaux: »Ich werde ab jetzt nicht mehr zur Beichte gehen. Wenn Sie mich dazu zwingen, werde ich so tun, als wäre ich jemand anders. Ich werde die Sünden eines anderen Menschen erfinden und sie beichten.«
    »Sei vernünftig«, sagte Pater Herivaux. »Deinen Glauben kannst du aufgeben, wenn du sechzehn bist. Das ist das richtige Alter.«
    Doch mit sechzehn beging Camille andere Regelverletzungen. Maximilien de Robespierre wurde täglich von Ängsten gepeinigt. »Wie schaffst du es bloß immer, rauszukommen?«, fragte er.
    »Wir sind hier nicht in der Bastille, weißt du. Manchmal reicht schlichte Überredung. Oder ich klettere über die Mauer. Soll ich dir zeigen, wo? Nein, lieber nicht.«
    Innerhalb der Mauern lebt eine rationale intellektuelle Gemeinschaft. Draußen vor den Eisentoren streichen Bestien umher. Es ist, als säßen die Menschen im Käfig, während draußen die wilden Tiere unterwegs sind und menschlichen Betätigungen nachgehen. Die Stadt stinkt nach Reichtum und Korruption; Bettler sitzen am Straßenrand im Dreck, der Henker führt öffentliche Folterungen durch, Menschen werden am helllichten Tag überfallen und ermordet. Was Camille außerhalb der Mauern vorfindet, fasziniert und ekelt ihn zugleich. Es ist eine verworfene, gottvergessene Stadt, ein Ort des schleichenden moralischen Verfalls mit einer alttestamentarischen Zukunft. Die Gesellschaft, in die Fréron ihn einführen will, ist ein riesiger, verkommener Organismus, der seinem Ende entgegenhinkt; nur Menschen wie du, sagte er zu

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