Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
»Ganz schön sicher fühlen wir uns, wie?«
»Nicht besonders. Es heißt, ich muss mit einer Festnahme rechnen.«
»Verlassen Sie sich nicht drauf, dass der Hof so förmlich vorgeht. Ein Mann mit einem Messer könnte es für Sie auch tun. Oder für mich, so betrachtet. Ich habe ja vor, ins Cordeliers-Viertel zu ziehen. Da kann ich wenigstens um Hilfe rufen. Warum ziehen Sie nicht auch hin?« Marat grinste und ließ seine schauderhaften Zähne sehen. »Dann wären wir alle Nachbarn. Schön gemütlich.« Er beugte sich wieder über die Blätter vor ihm, raschelte darin herum, klopfte mit dem Zeigefinger. »Ihrem nächsten Punkt stimme ich zu. Zu jeder anderen Zeit hätte das Volk Jahre des Bürgerkriegs gebraucht, um sich solcher Feinde wie Foulon zu entledigen. Und in einem Krieg kommen Tausende um, nicht wahr? Deshalb sind die Lynchmorde durchaus akzeptabel. Sie stellen die humane Alternative dar. Für diese Haltung werden Sie wahrscheinlich gegeißelt werden, aber wagen Sie’s ruhig, gehen Sie damit zum Drucker.« Der Doktor rieb sich nachdenklich die platte Nase – eine prosaische Geste, die eine prosaische Aussage unterstrich. »Das Gebot der Stunde lautet, Köpfe abschneiden, Camille. Je länger wir damit warten, desto mehr Köpfe werden rollen müssen. Schreiben Sie das. Die oberste Notwendigkeit ist, Leute umzubringen und ihnen den Kopf abzuhacken.«
Erstes zaghaftes Kratzen des Bogens auf der Saite. Eins, zwei: d’Antons Finger klopften auf seinen Säbelknauf. Unter seinem Fenster polterten und schrien die Nachbarn durcheinander und wedelten mit der Sitzordnung herum. Das Orchester der Königlichen Musikakademie stimmte seine Instrumente. Gute Idee, so ein bisschen Musik, das machte die Sache gleich festlicher. Eine Militärkapelle würde es natürlich auch geben. Als Distriktspräsident und Hauptmann der Nationalgarde (wie sich die Bürgerwehr mittlerweile nannte) war er für die Planung sämtlicher Programmpunkte zuständig.
»Gut schaust du aus«, sagte er zu seiner Frau, ohne sie anzusehen. Er schwitzte in seiner neuen Uniform: weiße Hosen, schwarze Stulpenstiefel, weiß abgesetzte blaue Jacke mit rotem Kragen, der jetzt schon einschnitt. Draußen sengte die Sonne vom Himmel.
»Ich habe Camilles Freund Robespierre gefragt, ob er nicht auch kommen will«, sagte er. »Aber er kann sich keinen ganzen Tag von der Versammlung freinehmen. Sehr gewissenhaft.«
»Der arme Junge«, bemerkte Angélique. »Ich frage mich ja, aus was für einer Familie er kommt. Ich habe zu ihm gesagt, haben Sie denn kein Heimweh? Fehlt Ihnen Ihre Familie denn nicht? Und er sagte völlig ernst zu mir: ›Doch, Mme Charpentier, ich vermisse meinen Hund.‹«
»Mir hat er gefallen«, sagte Charpentier. »Aber wie er an jemanden wie Camille geraten ist, weiß Gott allein. So«, er rieb die Hände gegeneinander, »was passiert jetzt?«
»Lafayette wird in einer Viertelstunde hier sein. Wir gehen alle zur Messe, der Priester weiht unsere neue Bataillonsfahne, wir marschieren aus der Kirche, hissen sie, defilieren vorbei, und Lafayette steht daneben und macht sein Generalsgesicht. Im Zweifel wird er erwarten, dass man ihm zujubelt. Wobei es schon genügend Schwachköpfe geben wird, um ausreichend Getöse zustande zu bringen, selbst in diesem Viertel von Zynikern.«
»Erklär’s mir doch bitte noch mal.« Gabrielle klang verschnupft. »Also, die Bürgerwehr ist auf der Seite des Königs?«
»Wir sind alle auf der Seite des Königs«, sagte ihr Mann. »Wir können nur seine Minister und seine Höflinge und seine Brüder und seine Frau nicht ausstehen. Louis ist in Ordnung, der arme alte Trottel.«
»Aber warum heißt es dann, Lafayette sei Republikaner?«
»In Amerika ist er Republikaner.«
»Gibt es hier auch Republikaner?«
»Ganz wenige.«
»Würden sie den König umbringen?«
»Guter Gott, nein. So etwas überlassen wir den Engländern.«
»Würden sie ihn ins Gefängnis sperren?«
»Das weiß ich nicht. Frag Mme Robert, wenn du sie siehst. Sie ist eine von den Radikalen. Oder Camille.«
»Aber wenn die Nationalgarde auf der Seite des Königs ist …«
»Auf der Seite des Königs«, unterbrach er sie, »solange er nicht versucht, das Rad zurückzudrehen.«
»Ja, das verstehe ich schon. Ihr seid auf der Seite des Königs und gegen die Republikaner. Aber Camille und Louise und François sind Republikaner, oder nicht? Wenn also Lafayette dir befehlen würde, sie zu verhaften, würdest du es tun?«
»Großer Gott,
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