Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
ihm bei seiner Arbeit zur Hand zu gehen. Sie begann ganz bescheiden, indem sie Passagen abschrieb, die er genauer studieren wollte. Dann wagte sie sich an ihr erstes Register und erwies sich als sorgsam und kompetent; als Nächstes stellte sie ihr gutes Gedächtnis und ihre verbissene Wissbegierde in den Dienst seiner Forschungsprojekte. Und da sie so flüssig und elegant schrieb, half sie ihm bald auch bei seinen Berichten und Briefen. Gib das doch mir, sagte sie, brüte du ruhig noch über dem ersten Absatz, und ich polier dir so lange den Rest etwas auf. Mein liebes, schlaues Mädchen, sagte dann er, wie bin ich nur früher ohne dich zurechtgekommen?
Aber sie dachte: Ich will mehr als ein Lob zum Lohn; ich will ein ruhevolles Leben, und doch will ich noch mehr bewegen. Ich weiß, welcher Platz der Frau zugedacht ist, ich bin ihn zufrieden, ich respektiere ihn, aber ich will auch den Respekt der Männer. Ich will ihren Respekt und ihren Beifall, denn auch ich besitze einen Verstand und kann ihn gebrauchen, auch ich habe meine Ideen zur Lage Frankreichs. Sie wünschte, sie könnte sie unmerklich in die Köpfe der Gesetzgeber einschleusen, so wie sie sie in den Kopf ihres Mannes schleuste.
Dieser Julitag damals – sie sah wieder die Trauben von Fliegen, die um das Flügelfenster der Krankenstube schwärmten, sah das gelbliche Gesicht ihres Mannes in den weißen Kissen, hörte den pfeifenden Atem ihrer Schwiegermutter, einer tyrannischen Fünfundachtzigjährigen, die in der Ecke döste. Und sich selbst sah sie, wie sie, grau gewandet und auch innerlich grau von so viel Siechtum und Hitze, mit einer Kanne Kräutertee durch die Zimmer schlich, während es draußen, allem zum Trotz, unbeirrt Sommer blieb.
»Madame?«
»Leise. Was gibt es?«
»Madame, Nachricht aus Paris.«
»Ist jemand krank?«
»Die Bastille ist gefallen.«
Sie ließ die Tasse zu Boden klirren. Später dachte sie, ich habe es mit Absicht getan. Aus seinem Halbschlaf geschreckt, hob Roland den Kopf vom Kissen. »Manon, ist irgendein Unglück passiert?«
In der Ecke erwachte das Ancien Régime, schnalzte missbilligend mit der Zunge und beäugte giftigen Blickes das unschickliche Frohlocken ihrer Schwiegertochter.
Sie begann für Zeitungen zu schreiben, erst für den Courrier de Lyon , dann für Brissots Le Patriote Français . (Ihr Mann und Brissot hatten über die letzten zwei Jahre hinweg ausgiebig korrespondiert.) Sie unterschrieb ihre Artikel mit »Eine Dame aus Lyon« oder »Eine Römerin«. Im Juni 1790 erhielt sie einen charmanten, wenn auch schwer lesbaren Brief, der um Erlaubnis ersuchte, einen ihrer Artikel in den Révolutions de France et du Brabant nachzudrucken. Sie erteilte sie bereitwillig; über den Charakter des Herausgebers war sie damals noch nicht im Bilde.
In Paris hatte die große Chance sich geboten, und sie hatte sie ergriffen: Sie hatte sich in den Dienst der Patrioten gestellt. Wachend wie schlafend hatte sie von solch einer Gelegenheit geträumt – während ihrer einsamen Studien – während ihrer Schwangerschaft mit Eudora – wenn sie dastand und den Totengräbern auf dem Friedhof in Amiens bei der Arbeit zusah. Der Salon der Madame Roland . Zugegeben, im Detail hatte der Traum ein wenig enttäuscht. Die Männer waren unbedeutend, leichtfertig, sturköpfig, und sie musste sich auf die Zunge beißen, um sie nicht zurechtzustutzen. Trotzdem, es war ein Anfang; und bald würden sie wieder auf dem Weg nach Paris sein.
Sie hatte den Kontakt in den vergangenen Monaten nicht abreißen lassen. In einer verschlossenen Schublade bewahrte sie Briefe von Brissot, von Robespierre und diesem reizenden, ernsthaften jungen Abgeordneten François-Léonard Buzot auf. Durch diese Briefe war sie über die Folgen des Blutbads auf dem Marsfeld informiert. Sie wusste (solche Synopsis war ihr für gewöhnlich zuwider, aber es geschah alles so schnell), dass Louis, nun wieder in Amt und Würden, seinen Eid auf die Verfassung abgelegt hatte; dass Lafayette nicht mehr die Nationalgarde befehligte, sondern eine Armee außerhalb von Paris. Die neue gesetzgebende Versammlung war einberufen worden, ehemalige Abgeordnete durften ihr nicht angehören, Buzot war folglich nach Evreux heimgekehrt. Gut, aber schreiben konnten sie sich immer noch, und eines Tages würden sie sich gewiss auch wiedersehen.
Ihr Freund Brissot war jetzt Deputierter – der gute Brissot, immer bei der Arbeit. Und Robespierre war nicht in seine Heimatstadt
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