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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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und treten in selbstgewebten langen Hosen den Dienst an, mit einer roten Mütze auf Ihrem ehrenwerten Schädel und einer Pike hinter Ihnen an der Wand?«
    »Nichts ist unmöglich«, sagte der Büttel. »In diesen unseren Zeiten.«
    »Ich dulde ja viel, aber denken Sie nicht, dass Sie bei mir Pfeife rauchen dürfen wie Père Duchesne.«
    Camille machte eine entschuldigende kleine Geste zu seinen Mandanten hin, ehe er sich lächelnd an den Richter wandte. Der Mann und die Frau sahen sich an, und ihre Schultern schlafften eine Spur ab. »Ins Gefängnis müssen Sie so oder so«, hatte ihr Anwalt ihnen gesagt, »also können wir Ihren Fall genauso gut dazu nutzen, ein paar prinzipielle Fragen zu klären.«
    »Ich möchte das hohe Gericht –«
    »Stehen Sie auf.«
    Camille zögerte, erhob sich dann und stellte sich vor den Richter, um ihn aus nächster Nähe ins Auge zu fassen. »Ich möchte um Erlaubnis bitten, meine Meinung zu veröffentlichen.«
    Der Richter senkte die Stimme. »Haben Sie vor, eine öffentliche Kontroverse anzustoßen?«
    »Ja.«
    »Das könnten Sie auch ohne meine Erlaubnis.«
    »Es ist eine Formalität, oder? Ich verhalte mich höflich.«
    »Haben Sie etwas gegen den Urteilsspruch einzuwenden?«
    »Nein.«
    »Gegen das Gesetz?«
    »Nein.«
    »Was dann?«
    »Ich finde es falsch, wenn die Gerichte als Erfüllungsinstrumente eines invasiven, moralisierenden Staates dienen.«
    »Tatsächlich?« Der Richter beugte sich vor; er debattierte gern über Grundsatzfragen. »Da ihr die Kirche ja ausgeschaltet habt, wer soll die Menschen dazu bringen, sich richtig zu verhalten, wenn nicht die Gesetze es tun?«
    »Wer entscheidet darüber, was richtiges Verhalten ist?«
    »Wenn das Volk seine Gesetzgeber wählt – wie neuerdings ja der Fall –, überträgt es diese Aufgabe dann nicht ihnen?«
    »Aber wenn das Volk und seine Gesetzgeber durch eine korrupte Gesellschaft geprägt worden sind, wie können sie dann gute Entscheidungen treffen? Wie sollen sie eine moralische Gesellschaft begründen, wenn sie niemals eine erlebt haben?«
    »Ich sehe schon, es wird spät werden«, sagte der Richter. »Um dieser Frage gerecht werden zu wollen, müssten wir ein halbes Jahr hier sitzen. Sie meinen, wie sollen wir gut werden, wenn wir schlecht sind?«
    »Früher wurden wir es kraft der göttlichen Gnade. Aber die ist in der neuen Verfassung nicht vorgesehen.«
    »Was reden Sie da?«, sagte der Richter. »Ich dachte, ihr setzt alle auf die moralische Wiedergeburt der Menschheit? Gibt Ihnen das nicht zu denken, wenn Sie und Ihre Freunde so divergieren?«
    »Seit der Revolution darf man abweichender Meinung sein, oder nicht?«
    Er schien auf eine Antwort zu warten. Der Richter war verstört.

2. Danton: Skizzen zu einem Porträt
    (1791)
    Georges-Jacques Danton: »Der Leumund ist eine Hure, und Leute, die von der Nachwelt anfangen, sind nichts als Heuchler und Narren.«
    Jetzt haben wir ein Problem. Es war nicht vorgesehen, dass er das Wort erteilt bekommt. Aber die Zeit wird knapp, die drängenden Fragen nehmen zu, und in gut zwei Jahren wird er tot sein.
    Danton hat nicht geschrieben. Bei Gericht hatte er sicher seine Notizen dabei; solche Auftritte sind hier geschildert, fingiert zwar, aber glaubhaft. Die Unterlagen dieser Fälle sind verschollen. Er schrieb kein Tagebuch und kaum Briefe – außer vielleicht die Art Briefe, die man gleich nach Erhalt zerfetzt. Er misstraute der Festlegung, zu der Papier zwingt, misstraute jeder Verewigung seiner vorläufigen Standpunkte. Das große Wort an den trikolorebedeckten Tischen der Ausschüsse führte er, das Protokoll führten andere. Und wenn es bei den Jakobinern Meinungen zu verfechten oder bei den Cordeliers patriotischen Dampf abzulassen galt, so wartete die Öffentlichkeit eben bis zum Samstag, um dann seine Schmähreden, auf Hochglanz poliert, zwischen den grauen Pappdeckeln von Camille Desmoulins’ Zeitung zu lesen. In bewegteren Zeiten – ständig also – werden improvisierte Ausgaben aus dem Boden gestampft, zweimal wöchentlich, manchmal täglich. Aus Dantons Sicht ist das Befremdlichste an Camille dieser Drang, jedes freie Stück Papier zu bekritzeln; kaum liegt irgendwo eine unschuldige Seite herum, arglos und unberührt, nimmt Camille sie heran, bis sie schwarz von Worten ist, und dann besudelt er ihre Schwester, und so weiter, die ganze Lage durch.
    Seit dem Massaker erscheint die Zeitung natürlich nicht mehr. Camille sagt, er hat die Nase voll von Fristen

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