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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Man kann Ereignisse auch steuern.« Camille klang ruhig und sehr müde.
    »Ich würde lieber nichts überstürzen«, sagte Georges. »Ich möchte erst die Sache mit Lafayette erledigt wissen. Ich will nicht an allen Fronten gleichzeitig kämpfen müssen.«
    »Aber wir dürfen eine solche Chance nicht vertun.«
    Georges gähnte. »Wenn sie ihn töten, töten sie ihn«, sagte er.
    Ich schlich weg. Mein Mut ließ mich im Stich. Ich wollte nichts weiter hören. Ich öffnete ein Fenster. Früher waren die Sommer nie so heiß, bilde ich mir ein. Lärm tönte von der Straße, nichts, was man nicht jede Nacht hört. Eine Patrouille der Nationalgarde kam die Straße entlang. Sie verlangsamten ihren Schritt, als sie sich näherten. Einer der Männer sagte laut und deutlich: »Da wohnt Danton.« Sie mussten einen Neuen dabeihaben, dass sie das eigens erwähnten. Ich zog meinen Kopf zurück, und sie marschierten weiter.
    Ich ging wieder zu Georges’ Arbeitszimmer und stieß die Tür auf. Er und Camille saßen links und rechts von dem leeren Kamin und starrten einander an, schweigend.
    »Stör ich euch?«
    »Nein«, sagte Camille, »wir haben uns nur angestarrt. Ich hoffe, Sie haben sich nicht zu sehr erschreckt über das, was Sie da vorhin belauscht haben?«
    Georges lachte. »Hat sie gelauscht? Hab ich gar nicht mitgekriegt.«
    »Mit Lucile ist es das Gleiche. Sie macht meine Briefe auf und verfällt dann in schrecklichste Verzweiflung. Zurzeit ist der Stein des Anstoßes meine arme Cousine Rose-Fleur Godard. Ihre Ehe ist unglücklich. Sie wünscht jetzt, sie hätte mich geheiratet.«
    »Ich glaube, ich würde ihr raten, mit ihrem Los zufrieden zu sein«, sagte ich. Wir lachten – erstaunlich, in welchen Situationen man lachen kann. Die Spannung löste sich. Ich sah Georges an. Ich sehe nie das Gesicht, das den Leuten solche Angst macht. Für mich ist es ein gütiges Gesicht. Und Camille schien noch immer der Junge, den Georges vor sechs Jahren mit ins Café gebracht hatte. Er stand auf, beugte sich rasch vor und küsste mich auf die Wange. Ich habe mich verhört, dachte ich, es war ein Missverständnis. Zwischen einem Politiker und einem Mörder ist doch noch ein Unterschied. Aber beim Abschied sagte Georges zu ihm: »Tja, wenn ich an diese armen Schweine denke …«
    »Ja«, sagte Camille. »Sitzen da und warten darauf, abgeschlachtet zu werden.«
    Am Tag der Krawalle ging ich nicht aus dem Haus und Georges auch nicht. Und bis zum Abend kam auch niemand zu uns. Dann hörte ich die Geschichten, die der Tag gebracht hatte.
    Die Bewohner von Saint-Antoine und Saint-Marcel, Waffen in den Händen, waren zu Tausenden in die Tuilerien eingedrungen, angeführt von Agitatoren der Jakobiner und der Cordeliers. Einer der Anführer war Legendre; er sagte dem König Beleidigungen ins Gesicht, und abends saß er in meinem Wohnzimmer und brüstete sich damit. Vielleicht hätten König und Königin unter ihren Knüppeln und Piken den Tod finden sollen, aber so kam es nicht. Stattdessen standen sie viele Stunden in einer Fensternische, mit dem kleinen Dauphin, seiner Schwester und der Schwester des Königs, Mme Elisabeth, und die Menge zog an ihnen vorbei und lachte über sie, als wären sie Monstrositäten auf einem Jahrmarkt. Der König bekam eine »Freiheitsmütze« aufgesetzt. Diese Menschen – Menschen aus der Gosse – drückten dem König eine Flasche billigen Wein in die Hand und ließen ihn daraus auf das Wohl der Nation trinken. So ging es über Stunden.
    Am Ende lebten sie immer noch. Ein gnädiger Gott hatte sie beschützt; der Mann dagegen, dessen Schutz sie befohlen waren – Pétion, der Bürgermeister von Paris –, tauchte erst abends auf. Als er endgültig nicht länger warten konnte, bequemte er sich mit einer Gruppe Abgeordneter zu den Tuilerien und vertrieb den Mob aus dem Palast. »Und dann – wisst ihr, was dann passiert ist?«, fragte Vergniaud. Ich reichte ihm ein Glas kalten Weißwein. Es war abends um zehn. »Als sie alle fort waren, riss sich der König die rote Mütze vom Kopf, warf sie auf den Boden und trampelte darauf herum.« Er dankte mir mit einem weltmännischen Nicken. »Das Verrückte ist, dass die Frau des Königs sehr viel Haltung bewiesen hat, man kann es nicht anders sagen. Es fügt sich unglücklich, aber das Volk ist jetzt weniger gegen sie als zuvor.«
    Georges schäumte vor Wut. Und Georges’ Wut ist ein sehenswertes Spektakel. Er riss sich die Halsbinde ab, rannte im Zimmer hin und her,

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