Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
ich in Tränen aus. Ich habe keine Heldentat vollbracht, schrie ich ihn an, jeder kann ein Kind zur Welt bringen, versuch nicht ständig, dich loszukaufen. Ein richtiger Weinkrampf überfiel mich, und als er vorbei war, brannten mir die Augen, ich rang nach Luft, und meine Kehle fühlte sich wund an. Mein Gedächtnis schien völlig blankgefegt; wenn Catherine, unser Mädchen, mir nicht erzählt hätte, was ich alles geredet hatte, hätte ich es niemals geglaubt.
Am nächsten Tag kam Dr. Souberbielle: »Ihr Mann sagt, es geht Ihnen nicht gut?« Ich sei einfach erschöpft, meinte er. Kinder zu bekommen sei etwas sehr Anstrengendes. Bald würde ich mich schon viel besser fühlen. Nein, Herr Doktor, antwortete ich ihm sehr höflich, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich jemals wieder besser fühle.
Sobald ich mein Kind an die Brust legte und die Milch zu fließen begann, liefen mir die Tränen auch schon aus den Augen, und meine Mutter kam mit strenger, geschäftsmäßiger Miene und sagte, jetzt müsse eine Amme her, denn er und ich machten einander unglücklich. Es sei besser für Kinder, außerhalb von Paris aufzuwachsen, wo sie nachts nicht schreien und ihre Väter aufwecken könnten.
Weißt du, sagte sie, als Jungverheiratete lebst du die ersten ein, zwei Jahre in deiner eigenen Welt. Wenn du nur einen guten Mann hast, einen Mann, den du gern magst, fühlst du dich so geborgen und zufrieden und froh. Für diese ein, zwei Jahre schaffst du es, allen Kummer auszublenden – zu glauben, du wärst nicht denselben Regeln unterworfen wie andere Menschen auch.
»Warum muss es überhaupt Regeln geben?«, fragte ich. Ich klang wie Lucile. So etwas würde Lucile sagen: Warum muss es Regeln geben?
»Und sie wird ihr Kind bekommen«, sagte ich, »und was passiert dann?«
Meine Mutter musste mich nicht fragen, was ich meinte. Sie tätschelte mir nur den Arm. Sie sagte, ich sei doch keins von diesen Mädchen, die wegen allem gleich ein Theater machten. Das höre ich in letzter Zeit sehr oft – nicht dass ich es am Ende noch vergesse und doch eins mache! Meine Mutter tätschelte mich noch einmal – diesmal die Hand – und fing dann an, sich über die Mädchen von heute zu wundern. Die Mädchen von heute sind romantisch, findet sie. Sie haben diese seltsame Vorstellung, wenn ein Mann das Ehegelübde ablegt, meint er es auch so. Zu ihrer Zeit begriffen die Mädchen noch, woran sie waren. Sie verstanden, dass man sich arrangieren muss.
Sie suchte die Amme selbst aus, eine nette, zuverlässige Frau draußen in l’Isle-Adam. Aber so nett und zuverlässig sie auch sein mag, ich ließ ihr mein Söhnchen nur schweren Herzens. Lucile begleitete mich, um zu sehen, ob sie auch als Amme für ihr Kind taugen könnte, und siehe da, sie taugte. Welch eine günstige Fügung! Wie praktisch! Bei Lucile sind es jetzt nur noch ein paar Wochen hin. Was für ein Aufhebens um sie gemacht wird, man hat noch nie solch ein Aufhebens erlebt. Aber dass sie das Kleine selbst stillt – kein Gedanke. Ihr Mann und ihre Mutter verbieten es. Sie hat drängendere Pflichten: so viele Feste, auf die sie gehen muss. Und General Dillon wird es zweifellos lieber sein, wenn ihr Busen hübsch und fest bleibt.
Ich mache Lucile keinen Vorwurf, auch wenn es sich vielleicht so anhört. Es stimmt nicht, dass sie ein Verhältnis mit Fréron hat, obwohl er auf eine Weise von ihr besessen ist, die ihm nicht gut tut und allen um ihn herum auch nicht. Mit Hérault spielt sie, soweit ich es beobachten kann, nur auf die übliche Art – reizt ihn auf und hält ihn dann wieder auf Abstand. Hérault wirkt mitunter ein wenig gelangweilt, als würde er all dies zur Genüge kennen – durch seine Zeit bei Hofe, nehme ich an. Wobei sich Lucile auch deshalb mit ihm abgibt, weil sie es Caroline Rémy heimzahlen will, die ihr so dumm gekommen ist, als sie frisch verheiratet war und noch nicht alle Kniffe kannte. Wie war ich erleichtert, als ich wusste, dass Lucile schwanger ist! Wenigstens ein Aufschub, dachte ich. Aber mehr als einen Aufschub verspreche ich mir nicht. Ich sehe doch Georges. Ich sehe, wie seine Blicke ihr folgen. Und Georges bekommt nie einen Korb. Wenn jemand das für einen unmöglichen Standpunkt hält, dann kennt er Georges nicht. Dann hat er ihn vielleicht nur einmal kurz reden hören. Oder ist ihm en passant auf der Straße begegnet.
Ein einziges Mal habe ich mich in die Nesseln gesetzt, bei Luciles Mutter – weil ich mir einbildete, abwiegeln zu
Weitere Kostenlose Bücher