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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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seine Kehle und Brust glitzernd vor Schweiß, sein Gebrüll so laut, dass die Scheiben bebten. »Diese verdammte sogenannte Revolution war die reine Zeitverschwendung. Was hat sie den Patrioten gebracht? Nichts und wieder nichts.« Drohend blickte er durch das Zimmer. Wer immer ihm zu widersprechen wagte, musste mit einem tätlichen Angriff rechnen. Von draußen tönte Geschrei, weit entfernt, vom Fluss her.
    »Wenn das stimmt …«, setzte Camille an. Aber er schaffte es nicht, er brachte die Worte nicht heraus. »Wenn sie wirklich am Ende ist – und ich meine, sie war von Anfang an am Ende –« Er vergrub das Gesicht in den Händen, erbittert über sein Versagen.
    »Wird’s bald, Camille«, sagte Georges. »Wir haben nicht die Zeit, zu warten, bis du irgendwann fertig bist. Fabre, donnerst du bitte seinen Kopf an die Wand?«
    »Genau das versuche ich zu sagen, Georges-Jacques. Wir haben keine Zeit mehr.« Ob es nun an der Drohung lag oder an der Klarheit, mit der er plötzlich die Zukunft sah, jedenfalls hatte Camille seine Stimme wiedergefunden; er begann zu sprechen, in kurzen, einfachen Sätzen diesmal. »Wir müssen von vorn anfangen. Wir müssen einen Staatsstreich durchführen. Wir müssen Louis absetzen. Wir müssen die Macht übernehmen. Wir müssen die Republik ausrufen. Und zwar ehe der Sommer um ist.«
    Vergniaud war eine gewisse Unruhe anzumerken. Er wetzte mit dem Finger an der Armlehne seines Sessels entlang. Er sah von einem zum anderen.
    Camille sagte: »Georges-Jacques, du hast gesagt, du bist noch nicht so weit, aber jetzt musst du es sein.«
    Manon ohne Amt. Eine Formulierung Dantons wollte ihr nicht aus dem Kopf: »Frankreichs natürliche Grenzen.« Sie brachte neuerdings Stunden damit zu, Landkarten der Niederlande und des Rheins zu studieren. Methodisch – denn war sie nicht eine der größten Kriegsbefürworterinnen gewesen? Schwieriger war es, die natürlichen Grenzen eines Menschen auszumachen …
    Sie schoben es ihr in die Schuhe, wem sonst, diese spatzenhirnigen Patrioten. Ihr Brief sollte schuld daran sein, dass Louis das Kabinett entlassen hatte. Blanker Unsinn, Louis hatte ganz einfach einen Vorwand gesucht. Was musste sie sich nicht alles vorwerfen lassen: dass sie sich eingemischt habe, dass sie ihnen ins Handwerk gepfuscht habe, dass sie Roland seine Politik diktiere. Es war so ungerecht, sie hatten immer zusammengearbeitet, sie und ihr Mann, hatten ihre Gaben und Energien gebündelt; sie kannte seine Gedanken, bevor er selbst sie kannte. »Roland verliert nichts dadurch«, sagte sie, »dass ich für ihn spreche.« Blicke wurden gewechselt. Immer wurden Blicke gewechselt. Wie gern hätte sie hineingeschlagen in diese selbstgefälligen Männergesichter.
    Der Einzige, der sie verstand, war Buzot. Er nahm ihre Hand, drückte sie. »Achten Sie gar nicht auf sie, Manon«, flüsterte er. »Wahre Patrioten wissen, was sie an Ihnen haben.«
    Sie würden wieder an die Regierung gelangen, dessen war sie sich sicher. Aber sie würden dafür kämpfen müssen. Der 20. Juni – die sogenannte »Erstürmung« der Tuilerien – war ein Fiasko gewesen, ein Witz. Von Beginn bis Ende fehlgeplant, aber Fehlplanung schien dieser Tage gang und gäbe.
    Ihre Nachmittage verbrachte sie jetzt auf der öffentlichen Galerie der Manege, wo sie zähneknirschend die Debatten verfolgte. Einmal kam eine junge Frau in einem scharlachroten Reitkleid hereingeschlendert, im Gürtel eine Pistole. Erschrocken sah sich Manon nach dem Ordner um, aber außer ihr schien niemand befremdet von dem Auftritt. Die junge Frau lachte; sie hatte einen Tross von Anhängern bei sich; sie ließ sich besitzergreifend auf eine Bank fallen und fuhr sich mit den Fingern durch das lockige braune Haar, das sie so kurz geschnitten trug wie ein Mann. Ihre Claque applaudierte Vergniaud; sie riefen laut seinen Namen; sie riefen auch andere Deputierte beim Namen, und dann verteilten sie Äpfel untereinander und aßen sie und warfen die Apfelbutzen auf den Boden.
    Vergniaud kam herauf, um Manon zu begrüßen, und sie gratulierte ihn zu seiner Rede, aber nur verhalten; er erhielt viel zu viel Lob. Dem seltsamen Mädchen in Scharlachrot nickte er lediglich zu. »Das ist Théroigne«, erklärte er, »kann es sein, dass Sie sie noch nie zu Gesicht bekommen haben? Sie hat im Frühling bei den Jakobinern gesprochen und von ihrem Martyrium bei den Österreichern berichtet. Sie haben ihr die Tribüne überlassen. Das können nicht viele Frauen von

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