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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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war unnatürlich stetig, ohne den geringsten Anflug eines Stotterns. »Georges-Jacques habe ich auch nicht gesehen, aber er unterzeichnet im Rathaus Erlasse, also muss er gesund und munter sein. Louis Capet und seine gesamte Familie sind aus dem Palast geflohen und haben in der Manege Zuflucht gesucht. Die Versammlung tagt jetzt durchgehend. Ich glaube, nicht mal die Schweizergarde weiß, dass der König weg ist – die Angreifer wissen es jedenfalls ganz eindeutig nicht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sie es erfahren sollten.« Er stand auf, hielt Lucile kurz an sich gedrückt. »Ich zieh mir nur rasch die blutigen Sachen aus, dann gehe ich wieder.«
    Fréron sah ihm düster nach. »Ich fürchte, die Reaktion wird erst später einsetzen«, sagte er. »Ich kenne Camille. Er ist solchen Dingen nicht gewachsen.«
    »Meinen Sie?«, sagte Lucile. »Ich glaube, für ihn gibt es nichts Schöneres.« Sie wollte gern fragen, wie Louis Suleau gestorben war, wie und warum. Aber jetzt war nicht die Zeit dafür. Wie Danton gesagt hatte, sie war kein dummes kleines Mädchen mehr, o nein, sie war die Stimme der Vernunft. An der Wand trat Maria Stuart auf ihren Henker zu, die biegsame, kurvenreiche Maria, ein süßlich-frommes Lächeln im Gesicht. Die rosenroten Seidenkissen hatten gelitten, wie es der taktvolle Camille schon geahnt hatte; die blaue Chaiselongue strahlte etwas Wissendes aus: ein Möbel, das viel erlebt hat. Lucile Desmoulins ist zweiundzwanzig Jahre alt, Ehefrau, Mutter, Herrin ihres Hauses. In der Augusthitze – eine Fliege brummelt an der Fensterscheibe, auf der Straße pfeift ein Mann, in einem anderen Stockwerk plärrt ein Säugling – spürt sie, wie ihre Seele zu ihrer Form findet, klein, befleckt und sterblich. Früher einmal hätte sie vielleicht ein Totengebet gesprochen. Jetzt denkt sie, wem zum Teufel nutzt das, ich muss mich um die Lebenden kümmern.
    Als Gabrielle sich kräftig genug fühlte, wollte sie gern in ihre Wohnung zurückkehren. Die Straßen waren laut und voll. Der Concierge hatte es mit der Angst bekommen und das große Tor zur Cour du Commerce verriegelt; Gabrielle klingelte und klopfte und hämmerte an die Tür ihres eigenen Hauses. »Wir können durch die Bäckerei hineingehen, wenn der Bäcker uns lässt«, sagte sie, »zu seiner Ladentür hinein und dann durch die Backstube.«
    Aber der Bäcker ließ sie nicht einmal in seinen Laden; er brüllte sie an und versetzte Gabrielle einen Stoß vor die Brust, dass sie japsend auf die Straße zurücktaumelte. Sie nahmen sie in die Mitte, halfen ihr zurück zum Tor, duckten sich in seinen Schutz. Eine Gruppe von Männern sammelte sich um sie, und Lucile schob die Hand in die Tasche und vergewisserte sich, dass das Messer noch da war. Sie liebkoste es mit den Fingerspitzen. »Ich kenne euch«, sagte sie, »ich kenne jeden Einzelnen von euch mit Namen, und wenn ihr auch nur einen Schritt näherkommt, dann stecken eure Köpfe auf Piken, noch ehe der Tag um ist, und es wird mir ein Vergnügen sein, sie eigenhändig aufstecken zu helfen.«
    Woraufhin sich das Tor öffnete und Hände sie nach drinnen zogen; Riegel rasteten ein, sie waren im Hausflur, sie waren im Treppenhaus, sie waren in Dantons Wohnung, und Lucile sagte mürrisch: »So, ab jetzt bleiben wir hier.«
    Gabrielle schüttelte den Kopf – fassungslos, zu Tode erschöpft. Über den Fluss tönte Geschützdonner, dumpf und stetig. »Guter Gott, ich sehe aus, als hätte ich drei Tage im Grab gelegen«, sagte Louise Robert mit einem Blick auf ihr Spiegelbild, während sie auch hier wieder Kissen aufschüttelten und Gabrielle in die Horizontale verfrachteten.
    »Warum die Dantons wohl getrennte Betten haben?«, flüsterte sie Lucile zu, als sie sich außer Hörweite glaubte.
    Lucile zuckte die Achseln.
    »Weil er so um sich schlägt«, sagte Gabrielle mit schwerer Zunge, »weil er im Traum immer kämpft – was weiß ich, gegen wen.«
    »Seine Feinde?«, schlug Lucile vor. »Seine Gläubiger? Seine Gelüste?«
    Louise Robert durchforstete Gabrielles Frisierkommode. Sie fand ein Töpfchen Rouge und trug es in kreisrunden roten Flecken auf wie seinerzeit bei Hof. Sie streckte es Lucile hin, aber Lucile sagte: »Das gilt nicht, ich weiß selbst, dass bei mir Hopfen und Malz verloren ist.«
    Es wurde Mittag. Der Lärm auf den Straßen verstummte. So wird es in den letzten Stunden sein, dachte Lucile, so wird es sein, wenn die Welt untergeht und wir warten, dass sich die Sonne verfinstert.

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