Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Sie dazu?«
»Ich frage mich«, sagte Roland, »ob das der rechte Anfang für die Republik ist. Sollen wir uns vom Pöbel unter Druck setzen lassen?«
»Wo geht Vergniaud hin?«, fragte Brissot.
Der Präsident hatte seinem Stellvertreter ein Zeichen gegeben. »Bitte lassen Sie mich durch«, bat er die Umstehenden freundlich.
Brissot sah Vergniaud nach. Wie viele Allianzen, Faktionen, Pakte konnten nicht jederzeit geschmiedet, gebildet, gebrochen werden … und wenn er nicht überall zugleich war, wenn er nicht an jedem einzelnen Gespräch teilnahm, dann bestand die grauenvolle Möglichkeit, dass er seinen Status als bestinformierter Mann Frankreichs verwirkte.
»Danton ist ein Verbrecher«, sagte Roland. »Vielleicht sollten wir ihn als Justizminister gewinnen.«
Vergniaud, der an der Tür Camille in die Arme gelaufen war, sah sich außerstande, seinen gewohnten rednerischen Fluss zu entwickeln. Verständlich, flocht er ein. Sehr nachvollziehbar. Durchaus einleuchtend. Nach drei Minuten kam Camille doch ins Stocken. »Sagen Sie mir, Vergniaud«, sagte er, »fange ich an, mich zu wiederholen?«
Vergniaud hatte den Atem angehalten, jetzt stieß er ihn aus. »Ein klein wenig. Aber sprechen Sie ruhig zu Ende, es ist alles so frisch und interessant, was Sie sagen. Also, in welcher Weise?«
Camilles ausladende Handbewegung schloss sowohl die Manege als auch die tobenden Straßen mit ein. »Ich begreife nicht, warum der König nicht tot ist. Massenweise bessere Leute sind tot. Und diese überflüssigen Abgeordneten? Die Royalisten, von denen die Gefängnisse überquellen?«
»Aber Sie können sie doch nicht alle umbringen.« Die Rednerstimme schwankte eine Spur.
»Doch, doch, das geht.«
»Ich habe ›können‹ gesagt, aber ich meinte ›dürfen‹. Danton würde ein Zuviel an Blutvergießen sicherlich nicht begrüßen.«
»Nicht? Ich weiß es nicht. Ich habe ihn seit Stunden nicht mehr gesehen. Ich glaube, er hat die Familie Capet aus dem Palast holen lassen.«
»Ja«, sagte Vergniaud. »Dafür spricht einiges. Und warum, meinen Sie, hat er das gemacht?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ist er ein Menschenfreund.«
»Aber Sie sind sich dessen nicht sicher.«
»Ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich wach bin.«
»Ich glaube, Sie sollten nach Hause gehen, Camille. Sie reden lauter Unsinn.«
»Wirklich? Wie nett, dass Sie mich darauf hinweisen. Wenn Sie Unsinn reden würden, dann würde ich im Geist jedes Detail mitschreiben.«
»Nein«, sagte Vergniaud begütigend. »Das würden Sie nicht.«
»Doch«, beharrte Camille. »Wir trauen Ihnen nämlich nicht.«
»Das merke ich. Aber ich glaube, Sie müssen gar nicht so viel Energie darauf verwenden, den Leuten Angst zu machen. Halten Sie es nicht für möglich, dass wir Danton vielleicht ohnehin haben wollen? Nicht wegen all dem, was er tun könnte, wenn ihm die Macht versagt bleibt – was zweifellos haargenauso unappetitlich wäre, wie Sie andeuten –, sondern weil wir glauben, dass nur er das Land retten kann?«
»Nein«, sagte Camille, »der Gedanke ist mir noch nie gekommen.«
»Glauben Sie es denn nicht?«
»Doch, aber ich habe mich daran gewöhnt, mit diesem Glauben allein zu stehen. Das tue ich schon so lange. Und das größte Hindernis war immer Danton selbst.«
»Was erwartet er denn?«
»Er erwartet gar nichts. Er schläft.«
»Gut, hören Sie zu. Ich möchte gern zur Versammlung sprechen. Es wäre von Vorteil, wenn der Pöbel aus dem Saal verschwände.«
»Es war das souveräne Volk, bis es Sie heute Nachmittag an die Macht gebracht hat. Jetzt ist es plötzlich der Pöbel.«
»Es liegen mehrere Anträge vor, die Monarchie auszusetzen. Die Versammlung wird diesen Anträgen stattgeben. Und sie wird einen Nationalkonvent einberufen, der der Republik eine Verfassung gibt. Das heißt, Sie können getrost heimgehen und schlafen.«
»Nein, nicht, ehe ich es nicht mit eigenen Ohren gehört habe. Wenn ich jetzt gehe, löst sich vielleicht alles in Luft auf.«
»Das Leben nimmt paranoide Züge an«, murmelte Vergniaud. »Lassen Sie uns versuchen, rational zu bleiben.«
»Nichts hier ist rational.«
»Aber es wird es werden«, sagte Vergniaud hurtig. »Meine Kollegen haben vor, das Regieren von seinen Zufälligkeiten und Vorurteilen zu befreien und in einen vernunftgesteuerten Prozess zu verwandeln.«
Camille schüttelte den Kopf.
»Glauben Sie es mir nur«, sagte Vergniaud. Er brach ab. »Was riecht hier so grauenerregend?«
»Ich glaube«,
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