Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
uns bedienen müssen …« Er zeigte hinter d’Anton her, der mit M. Charpentier wegging. »Sehen Sie sich diesen Kerl an. Gekleidet ist er wie ein ehrbarer Bürger. Aber man merkt sofort, am glücklichsten wäre er mit einer Pike in der Hand!«
Camille machte große Augen. »Aber das ist Maître d’Anton, er ist königlicher Rat. Sie sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Lassen Sie sich gesagt sein, Maître d’Anton hätte zum Kabinett gehören können. Nur weiß er, wo seine Zukunft liegt. Aber was stört Sie an ihm so, Brissot? Haben Sie Angst vor einem Mann des Volkes?«
»Ich bin eins mit dem Volk«, sagte Brissot inbrünstig. »Mit seiner reinen, erhabenen Seele.«
»Papperlapapp. Sie schauen herab auf das Volk, weil es aus dem Maul stinkt und kein Griechisch kann.« Er drängelte sich zu d’Anton durch. »Er hält dich für einen Gauner und Halsabschneider«, verkündete er frohgemut. »Brissot«, erklärte er M. Charpentier, »hat eine gewisse Mlle Dupont geehelicht, die in untergeordneter Stellung für Félicité de Genlis tätig war. Dadurch ist er an Orléans geraten. Ich halte eigentlich recht viel von ihm. Er war Jahre im Ausland, wisst ihr – hat geschrieben und übers Schreiben geredet. Er hat eine Revolution verdient. Er ist nur der Sohn eines Konditors, aber er ist sehr gebildet, und er tut so vornehm, weil er so viel gelitten hat.«
M. Charpentier war verwirrt, zornig. »Sie, Camille – Sie, der Sie sich vom Herzog Geld zahlen lassen – Sie geben vor uns offen zu, dass Réveillon benutzt worden ist?«
»Ach, wer fragt noch nach Réveillon? Wenn er diese Dinge nicht gesagt hat, dann hätte er sie doch sagen können . Er hätte sie denken können. Es geht nicht mehr um die Wahrheit. Es geht einzig und allein darum, was das Volk auf der Straße denkt.«
»Ich bin weiß Gott kein Freund des jetzigen Systems«, sagte Charpentier, »aber mir graut bei der Vorstellung, was passieren wird, wenn die Durchführung von Reformen in die Hände von Ihresgleichen fällt.«
»Reformen?«, wiederholte Camille. »Wer redet hier von Reformen? Die Stadt wird diesen Sommer in die Luft fliegen.«
D’Anton war elend zumute, Trauer krampfte ihm das Herz zusammen. Er wollte Camille beiseitenehmen und ihm von dem Kind erzählen. Das würde ihm den Mund stopfen. Aber er wirkte so glücklich bei der Planung des bevorstehenden Blutbads. Wer bin ich, dachte d’Anton, dass ich ihm den Spaß verderbe?
VERSAILLES : In diesen Zug ist viel reifliche Überlegung geflossen. Hier steht man nicht einfach auf und läuft mit, weit gefehlt.
Die Nation ist gespannt und voll Hoffnung. Der lang ersehnte Tag ist gekommen. Zwölfhundert Abgeordnete der Stände ziehen in feierlicher Prozession zur Kathedrale Saint-Louis, wo Monseigneur de la Fare, der Bischof von Nancy, in einer Predigt das Wort an sie richten und Gottes Segen auf ihr Tun herabwünschen wird.
Der erste Stand, die Geistlichkeit: Mailicht glänzt erwartungsfroh auf den versammelten Mitren, bringt die Edelsteinfarben der Soutanen zum Leuchten. Ihnen folgt der Adel: Dasselbe Licht blitzt von dreihundert Schwertknäufen, rieselt heiter dreihundert seidengewandete Rücken hinab. Dreihundert weiße Hutfedern wippen fröhlich im leichten Wind.
Aber vor ihnen kommt der Dritte Stand, in den schmucklosen schwarzen Umhängen, die der Zeremonienmeister ihnen verordnet hat, sechshundert Mann stark, wie ein monströser schwarzer Wurm. Warum steckt man sie nicht gleich in Kittel und schiebt ihnen Strohhalme in die Mundwinkel? Doch wie sie so dahinmarschieren, erhält der demütigende Gang ein neues Gesicht. Diese Trauerkleider sind Symbol der Solidarität. Schließlich sind sie nicht zu einem Kostümball hier, sie sind hier, um die alte Ordnung zu Grabe zu tragen. Auf den starren Gesichtern über den schlichten Halsbinden zeichnet sich ein gut Teil Stolz ab. Wir sind Männer der Tat. Firlefanz kennen wir nicht.
Maximilien de Robespierre ging in einer Gruppe aus seiner Heimatgegend, zwischen zwei Bauern; wenn er den Kopf wandte, konnte er die kampfbereiten Unterkiefer der bretonischen Deputierten sehen. Schultern zwängten ihn ein, bedrängten ihn. Er sah strikt geradeaus, unterdrückte seinen Drang, Ausschau zu halten unter dem jubelnden Volk, das die Straßen säumte. Es war niemand hier, der ihn kannte, niemand, der ihm persönlich zugejubelt hätte.
Camille war in der Menge dem Abbé de Bourville in die Arme gelaufen. »Erkennst du mich nicht?«, beschwerte
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