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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Priestern
    Sie trugen einen Galgen, den ihnen ein beflissener Schreinerlehrling in Windeseile zusammengezimmert hatte; an ihm baumelten zwei augenlose Strohpuppen, denen man ein paar alte Kleider übergezogen und ihre Namen, Réveillon und Hanriot, mit Kreide auf die Brust gemalt hatte. Die Ladenbesitzer verrammelten ihre Geschäfte, als sie sie kommen hörten. Die Puppen wurden mit großem Pomp auf der Place de Grève hingerichtet.
    All dies war nicht weiter ungewöhnlich. Bislang hatte die Menge nicht einmal eine Katze getötet. Die Scheinhinrichtungen waren ein Ritual, sie bauten den Volkszorn ab. Der Oberst der französischen Garden entsandte fünfzig Mann zur Bewachung von Titonville, falls der Zorn noch nicht hinreichend abgebaut war. Aber Hanriots Haus vergaß er, und ein Teil des Zuges marschierte einfach die Rue Cotte hinauf, trat die Türen ein und legte Feuer. M. Hanriot schaffte es unversehrt ins Freie. Es gab keine Verletzten. M. Réveillon wurde zum Abgeordneten gewählt.
    Am Montag dagegen sah die Lage schon ernster aus. Auf der Rue Saint-Antoine schwoll die Menge an, und auch von Saint-Marcel kam wieder Verstärkung. Als der Zug das Seine-Ufer entlangmarschierte, schlossen sich ihm die Stauer an, die Arbeiter auf den Holzstößen, die Obdachlosen, die unter den Brücken schliefen; die Arbeiter der Königlichen Glasfabrik ließen ihr Werkzeug fallen und strömten auf die Straße hinaus. Weitere zweihundert Gardisten wurden abgestellt; auf der Höhe von Titonville sammelten sie sich, beschlagnahmten Karren und verbarrikadierten sich dahinter. An diesem Punkt regte sich bei den Offizieren erste Panik. Vor den Barrikaden konnten fünftausend Leute sein oder zehntausend – unmöglich, es sicher zu sagen. Zusammenstöße waren nichts Seltenes gewesen in den letzten Monaten, aber das hier war anders.
    Wie der Zufall es wollte, war an diesem Tag Renntag in Vincennes. Als die eleganten Kutschen durch den Faubourg Saint-Antoine fuhren, wurden verängstigte Damen und Herren, alle à l’Anglais gekleidet, in den Rinnstein und auf das Kopfsteinpflaster gezerrt. Man zwang sie, »Nieder mit den Profiteuren« zu rufen, und setzte sie dann grob wieder in ihre Gefährte. Viele der Herren ließen größere Geldsummen springen, um sich eine wohlwollende Behandlung zu sichern, und einige Damen mussten zum Zeichen der Solidarität verlauste Lehrburschen und stinkende Rollkutscher küssen. Als die Kutsche des Herzogs von Orléans vorfuhr, erklangen Hochrufe. Der Herzog stieg aus, sprach ein paar beschwichtigende Worte und leerte sein Portemonnaie in die Menge. Die nachfolgenden Kutschen stauten sich hinter ihm. »Der Herzog inspiziert seine Truppen«, näselte eine hohe, durchdringende Aristokratenstimme.
    Die Gardisten luden ihre Gewehre und warteten. Die Menge schob sich hin und her; manche näherten sich den Karren, um die Soldaten anzusprechen, machten aber keine Anstalten, die Barrikaden anzugreifen. Draußen in Vincennes feuerten Frankreichs Anglophile ihre Favoriten an. So verging der Nachmittag.
    Man versuchte die zurückkehrenden Rennbesucher umzuleiten, aber als die Kutsche der Herzogin von Orléans kam, spitzte die Situation sich zu. Da vorn wolle sie hin, sagte der Kutscher der Herzogin: durch diese Barrikaden. Das Problem wurde dargelegt. Die Herzogin blieb bei ihrem Befehl. Die Etikette verlangte zügigen Gehorsam. Die Etikette setzte sich durch. Soldaten und Umstehende begannen die Barrikaden abzubauen. Die Stimmung veränderte sich, schlug um. Die Nachmittagsträgheit verflog, Schlachtrufe ertönten, Waffen wurden wieder hervorgeholt. Im Kielwasser der herzoglichen Kutsche flutete die Menge durch die Öffnung. Innerhalb von Minuten war von Titonville nichts mehr übrig, was noch hätte verbrannt, zertrümmert oder weggetragen werden können.
    Als die Reiterei eintraf, plünderte der Mob schon die Läden der Rue Montreuil. Die Kavalleristen wurden von ihren Pferden gezerrt. Die Infanterie erschien, grimmigen Gesichts; Befehle knatterten durch die Luft, dann das jähe, bestürzende Krachen einer Gewehrsalve. Platzpatronen – aber ehe irgendjemand das begriff, wurde schon ein Infanterist von einem Dachziegel gestreift, der von oben herabflog, und als er hochsah, um festzustellen, wo der Ziegel herkam, schleuderte der Krawallmacher, der ihn zum Ziel auserkoren hatte, den nächsten Ziegel auf ihn, der ihm das Auge ausschlug.
    Im Nu hatten die Randalierer Türen eingedrückt, Schlösser zerschmettert und die

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