Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
man vom Teufel spricht …«
Camille kam allein herein. Er sah sich misstrauisch um. »Georges-Jacques, wo hast du gesteckt?«, fragte er. »Ich hab dich die ganze Woche nicht gesehen. Was sagst du zu Réveillon?«
»Ich sag Ihnen, was ich dazu sage«, antwortete Charpentier an d’Antons Stelle. »Lüge und Verzerrung. Réveillon ist der beste Dienstherr in der Stadt. Er hat seine Leute den ganzen letzten Winter durchbezahlt.«
»Ach, und deshalb halten Sie ihn für einen Menschenfreund?«, sagte Camille. »Entschuldigt mich, ich muss mit Brissot sprechen.«
D’Anton bemerkte Brissot jetzt erst – falls er ihn zuvor nicht mutwillig übersehen hatte, was leicht genug gewesen wäre. Brissot sah Camille, nickte, wandte sich zurück zu seiner Gruppe und sagte: »Nein, nein, nein, rein legislativ.« Er drehte sich wieder um, streckte Camille die Hand hin. Er war ein dünnes Männchen, mager und verhuscht, seine schmalen Schultern fast bis zur Buckligkeit gebeugt. Kränklichkeit und Armut ließen ihn älter aussehen als seine fünfunddreißig, aber heute strahlten sein fahles Gesicht und die trüben Augen so hoffnungsfroh wie ein Kind am ersten Schultag. »Camille«, sagte er, »ich gründe eine Zeitung.«
»Seien Sie vorsichtig«, warnte d’Anton. »Die Polizei hat das Heft noch nicht ganz aus der Hand gegeben. Nicht, dass Sie auf dem Zeug sitzenbleiben.«
Brissots Blick wanderte an d’Antons Gestalt empor bis zu seinem vernarbten Gesicht. Er bat nicht darum, ihm vorgestellt zu werden.
»Erst dachte ich, ich fange am 1. April an und bringe sie zweimal die Woche heraus, dann dachte ich, nein, lieber erst am 20. und dafür viermal die Woche, dann dachte ich, nein, warte bis nächste Woche, wenn sich die Stände versammeln – das ist der richtige Zeitpunkt für einen Paukenschlag. Ich will sämtliche Versailler Neuigkeiten nach Paris und unters Volk bringen – gut möglich, dass ich verhaftet werde, aber was macht das? Ich habe schon früher in der Bastille gesessen, warum also nicht wieder? Jeder Augenblick zählt, ich habe bei den Wahlen im Filles-Saint-Thomas-Bezirk geholfen, man war dort heilfroh um meinen Rat …«
»Das sind die Leute immer«, sagte Camille. »Wenn man Ihrer Aussage glaubt.«
»Nicht spotten«, sagte Brissot sanft. Aber die Fältchen um seine Augen verrieten eine leise Ungeduld. »Ich weiß schon, Sie räumen mir nicht den Hauch einer Chance ein, eine Zeitung am Laufen zu halten, aber wir können uns jetzt nicht ausruhen. Wer hätte vor einem Monat einen solchen Fortschritt auch nur annähernd für möglich gehalten?«
»Er nennt dreihundert Tote einen Fortschritt«, sagte Charpentier.
»Ich glaube –« Brissot brach ab. »Ich sage Ihnen lieber im Privaten, was ich glaube. Es könnten Polizeispitzel hier sein.«
»Du zum Beispiel«, ertönte eine Stimme in seinem Rücken.
Brissot zuckte zusammen. Er drehte sich nicht um. Er spähte zu Camille hinüber, ob der es auch gehört hatte. »Dahinter steckt Marat«, murmelte er. »Was habe ich nicht alles getan, um seine Karriere zu fördern und seinen Ruf zu stärken, und womit dankt er es mir? Mit Verunglimpfung und Unterstellungen! Die, die ich Kameraden zu nennen pflegte, behandeln mich schlechter als je die Polizei.«
Camille sagte: »Ihr Problem ist, Sie sind ein Umfaller. Ich habe Sie verkünden hören, die Stände würden das Land retten. Vor zwei Jahren sagten Sie, bevor irgendetwas vorwärtsgeht, müssten wir erst die Monarchie loswerden. Was also? Was wollen Sie wirklich? Nein, antworten Sie nicht. Aber wird nach der Ursache der Krawalle geforscht werden? Nein. Man wird ein paar Leute aufknüpfen, das ist alles. Und warum? Weil niemand zu hinterfragen wagt, was passiert ist – nicht Louis, nicht Necker, auch nicht der Herzog selbst. Dabei wissen wir doch alle, dass Réveillons wahres Verbrechen darin besteht, gegen einen Kandidaten angetreten zu sein, den der Herzog von Orléans im Amt sehen wollte.«
Schweigen. »Man hätte es wissen müssen«, sagte Charpentier.
»Man hat nicht mit solchen Dimensionen gerechnet«, flüsterte Brissot. »Es war geplant, ja, es sind Leute gekauft worden – aber doch nicht zehntausend. Nicht einmal der Herzog könnte zehntausend Mann kaufen. Das Volk hat aus eigenem Antrieb gehandelt.«
»Und das wirft Ihre Pläne über den Haufen?«
»Das Volk braucht Anleitung.« Brissot schüttelte den Kopf. »Wir wollen keine Anarchie. Mich schaudert in der Gegenwart einiger der Subjekte, derer wir
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