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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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horchten auf.
    »Hört, hört«, raunte Leonelli, »Richard Devantier beleidigt seinen sowjetischen Freund! Was er nicht alles tut, wenn einer seinen Liebling piesackt, was er nicht alles tut. Tja, Richard, sie ist dein Liebling, jetzt hast du dich verraten.«
    Devantier war immer noch erzürnt: »Über seine Söhne kann er reden, wie er will, sind ja seine Söhne – aber nicht über die Kleine!«
    »Richard, und doch hat er in einem Punkt recht: Was richtig Gutes kann aus der Kleinen nicht mehr werden. Die bemüht sich, die ist vielleicht sogar begabt. Aber es ist eindeutig zu spät. Sie hätte viel eher anfangen müssen, mindestens fünf Jahre. Ehrlich gesagt weiß ich genausowenig wie Jaroslawl, warum sie sich so müht.«
    Devantier schwieg.
    »Weißt du’s vielleicht?«
    Er zuckte mit den Schultern: »Ist doch egal. Hauptsache, sie tut’s. Und wie sie’s tut, meine Güte, darüber könnte man glatt den Verstand verlieren.«
    Jetzt war es Leonelli, der schwieg. Verlegen fuhr er sich mit den Fingern unter die Mütze und rieb sein rosafarbenes Fleisch, denn solche Weichheit und solches Sentiment war er von Devantier nun überhaupt nicht gewohnt.
    Marty aber, Marty neben ihnen, der alles gehört hatte, setzte wieder sein traurig-schmerzliches Lächeln auf, nur daß es in diesem Moment, und überhaupt, niemanden interessierte.
    *
    Am Morgen darauf regnete es schon wieder. Zunächst fielen nur ein paar Tropfen, so fein waren die, daß Britta glaubte, es handele sich um vom Strand herüberwehende Gischt. Dann aber regnete es immer stärker, und am Mittag war es, als sei das gar kein Himmel mehr, was da über der Landschaft lag, sondern das tiefe wogende Meer, solche Wassermassen stürzten hinab. Die Erde blubberte beinahe wie urzeitliche Suppe.
    Da nun die Mastkappen des Chapiteaus schon alt, verwittert und undicht waren, strippte während der Nachmittagsvorstellung Wasser durch die kleine Öffnung zwischen Mast und Zeltbahn. Nicht weiter schlimm schien das zunächst, schließlich war keiner der Besucher davon betroffen. Dann jedoch sollte sich, nur jenes nicht enden wollenden nassen Fadens wegen, ein grauenhaftes Unglück ereignen.
    In der Manege befand sich der Große Leonelli mit seiner gemischten Raubtiergruppe. Die Wildkatzen – je fünf Tiger und Löwen sowie zwei Schwarze Panther – hatte er auf Postamenten plaziert, welche wie ein Ziffernkreis angeordnet waren, wobei zwischen ihnen, in der Mitte, ein Schwebebalken stand. Leonelli ließ, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit beim Charakter dieser Bestien, jeweils zwei Tiere auf dem Balken übereinanderspringen. Gerade glitten ein Panther und ein Tiger aufeinander zu, der Panther federte nach vorn – da dröhnte ein lauter Knall durchs Chapiteau. Einer der am Mast angebrachten, längst naß gewordenen Scheinwerfer war explodiert. In der Luft, wahrhaft noch in der Luft vollführte der Panther eine Wendung um 90 Grad und schoß auf Leonelli zu. Seine spitzen Fangzähne blinkten weiß, seine grünen Augen funkelten phosphoreszierend, seine ausgefahrenen Krallen glänzten wie riesige Gabelzinken. »Ringo!« Leonelli rief ihn barsch an, aber zu spät, schon wurde der Dompteur umgerissen, schon packte der Panther Leonellis rechtes Bein und vergrub darin seine Zähne. Schreie des Entsetzens im Publikum. Ehe Leonelli sich’s versah, verbiß sich in seinem anderen Bein der Tiger. Schnaubend zerrten die beiden Kreaturen an seinen Gliedmaßen, Leonelli würde sie vielleicht verlieren, seine Beine, aber seine Nerven verlor er darum noch lange nicht: Mit der Peitsche schlug er auf die Nase des Tigers, auf dessen empfindlichstes Körperteil, da jaulte das Tier auf und ließ von ihm ab. Zugleich fingerte er mit der anderen Hand nach der Pistole, die für Notfälle unter seinem Gürtel steckte; es gelang ihm, sie zu ziehen, er feuerte. Der Panther schreckte zurück, nur Platzpatronen waren das gewesen, aber die hatten genügt, denn Leonelli bekam nun die Gelegenheit aufzuspringen. Er stand wieder, wie denn das, seine weiße Hose war doch schon durch und durch rot, wer weiß, was die großen Katzen von seinen Beinen übriggelassen hatten. »Bringt Ringo raus«, kommandierte er die Pfleger, die mittlerweile, mit Forken bewaffnet, in die Manege geeilt waren, »zuerst Ringo«, denn der Panther war der gefährlichste von allen. Sie drückten ihm die Forken in den Hintern und trieben ihn in den Laufgang. Doch nun, da endlich alles überstanden schien, begann das Schrecknis von

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