Brüder und Schwestern
tut mir leid für euren Dompteur«, sagte er, aber Britta ging nicht darauf ein, und so fragte er, ob sie ihn vielleicht durch den Zirkus führen wolle. »Ich möchte schließlich wissen, wie du hier lebst und was du tust.«
»Gern, aber nicht jetzt, ich muß zum Einlaß, Karten abreißen, die Vorstellung beginnt bald. Und außerdem …« Sie stockte, schaute versonnen und fast schwermütig an Erik vorbei.
»Und außerdem? Sag schon.«
»Außerdem habe ich oft davon geträumt, wie ich meinen großen Brüdern den Zirkus zeige. Ich wäre dermaßen stolz auf euch, Erik. Einen hätte ich zur Linken und einen zur Rechten, so würden wir hier durchgehen. Aber mit beiden!« Sie stampfte plötzlich mit dem Fuß auf wie ein kleines Mädchen, dem etwas, das es sich in den Kopf gesetzt hat, nicht erfüllt wird. »Nicht nur mit einem! Doch wie ist es jetzt? Bloß weil du da bist, kommt Matti nicht. Und wenn er da wäre, würdest gleich du wegbleiben.«
»Das stimmt nicht, er ist es, der nichts mehr mit mir zu tun haben will, nicht umgekehrt. Ich würde kommen, denn ich habe nichts gegen ihn, gar nichts, aber er hat was gegen mich, das hat er ja wohl deutlich zum Ausdruck gebracht. Ja, du magst vielleicht nichts mehr davon hören, du hast vielleicht wirklich ganz leicht abgeschlossen damit, aber für uns ist es eben nicht vorbei!«
Britta seufzte, und Erik nahm es als Signal, fortzufahren in seiner Anklage: »Was hätte ich denn machen sollen? Es war doch ein Kompromiß, diese Unterschrift zu leisten, oder nicht? Habe ich dir etwa geschadet? Nein, habe ich nicht. Aber er, er tut seitdem, als hätte ich. Er benimmt sich ja fast so, als hätte ich dich ermordet! Er dreht doch völlig durch, oder nicht?«
Britta schüttelte lächelnd den Kopf: »Er hat eben seine Maßstäbe, das ist doch auch schön. Ich bewundere ihn dafür. Aber gleichzeitig macht er mir angst, das muß ich schon zugeben. So hohe Maßstäbe, die verderben einem nur das Leben. Man wird unzufrieden und ungerecht, weil sie gar nicht erfüllbar sind. Und am Ende gibt es bloß Streit und Bösartigkeit.« Während der letzten Worte hatte sich ihr Gesicht verfinstert, und jetzt rief sie: »Ich will aber keinen Streit! Ich will, daß alles wieder so wird wie früher. Das kann ich ja wohl verlangen. Wie du schon sagtest: Ich war es, die im Mittelpunkt gestanden hat – also kann ich jetzt auch verlangen, daß ihr euch wieder vertragt.«
»An mir soll es nicht liegen, an mir nicht«, beeilte Erik sich abermals zu versichern.
»Dann werde ich Matti noch einmal einladen. Ich werde ihm sagen, daß er mir weh tut, wenn er hier nicht erscheint. Er wollte doch sowieso an der Ostsee zelten, dann soll er herkommen und nicht irgendwo anders hinfahren.« Britta schaute jetzt trotzig: »Für mich wird er schon über seinen Schatten springen, das spüre ich. Und wenn er erstmal hier ist, wird sich schon alles einrenken, denn schließlich ist es gleiches Blut, jawohl, unser gleiches Blut wird schon alles andere beiseite schwemmen und wegspülen, ach was sage ich, vernichten und ersäufen wird es das, verlaß dich drauf!«
Da hatte sie sich ja in eine überbordende Siegesgewißheit hineingeredet. Erik lächelte sie verzückt an, nur war es keine reine Verzückung, sondern eine mit gehöriger Skepsis vermischte.
*
Britta schrieb schnell an Matti, auf ihre ungestüme, liebevolle Art erbat sie sich sein Erscheinen; und siehe, bereits drei Tage später erhielt sie tatsächlich eine positive Antwort. Da mußte sie sich gleich noch einmal hinsetzen und noch einen Brief verfassen, sie wollte einfach ein bißchen jubeln über ihren Erfolg, und wem gegenüber sollte sie es tun, wenn nicht gegenüber ihrer besten Freundin Catherine?
Aber Himmel, was löste sie aus damit! Es kam nun nämlich ein unerwartet langer und durchaus alarmierender Brief zurück, einer, der Britta dazu bewog, abends nach der letzten Vorstellung ausnahmsweise mal nicht zu jonglieren, sondern sich umgehend und ausführlich Catherine zuzuwenden, das tat not ganz offensichtlich.
»Trinchen«, schrieb sie, »ohne lange Vorrede zu dem, was Du mir gebeichtet hast, denn nichts ist jetzt wichtiger. So ein Geständnis! Ich erwähne meinen Bruder – und Du machst mir so ein Geständnis! Alle Schleusen auf einmal offen …
Aber ich will nicht so tun, als wäre ich vollkommen überrascht. Einerseits bin ich das. Aber andererseits hatte ich etwas Ähnliches schon vermutet. Ich weiß, das hört sich irgendwie komisch an –
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