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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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diesem Devantier, was mir und sicher auch Dir zunächst vollkommen unlogisch erscheint, in Wirklichkeit eine verblüffende Logik hat. Tatsächlich, Trinchen, er muß doch glauben, dort bei den Sowjets sei alles wunderbar. Weil ihm nämlich dieser Glauben unwahrscheinlich nützt! Du wirst fragen, welcher Nutzen soll das denn sein? Nun, der, daß er nicht weiter nachdenken und schon gar nicht sich rechtfertigen muß für bestimmte Entscheidungen, die er im Laufe seines Lebens getroffen hat. Er hätte ja eine Weile durchaus noch in die Schweiz oder sonstwohin abhauen können. Aber er ist geblieben, und warum ist er geblieben? Weil er felsenfest davon ausging, dies hier ist Sowjetland, und Sowjetland ist Zirkusland, und im Zirkusland, da werde ich immer gefeiert werden und werde immer unverwundbar sein. Und nun kriegt er aber doch eine Verwundung nach der anderen, was sagt er sich also? Das war nicht absehbar, sagt er sich, das geschieht ja nur, weil die Sowjets hier alles aus der Hand gegeben haben, an ihre verkorksten Zöglinge, denn bei den Sowjets zu Hause, wo ich, Richard, früher oft gewesen und wo ich ja im Grunde aufgewachsen bin, da läuft’s bestimmt noch prächtig, da würde niemand es wagen, mich zu drangsalieren. Ja, so muß es sein, jedenfalls ist das meine Erklärung.
    Aber Schluß jetzt, Trinchen, ich muß jetzt ins Bett, muß schlafen, sonst werde ich den morgigen Tag nicht überstehen! Deine todmüde Freundin Britta.«
    *
    Zurück am Feuer, tat Devantier, als sei nichts geschehen. Er setzte sich auf seinen Platz neben Marty und Leonelli, gegenüber von John Klinger. Zur Runde gehörte auch noch der Jaroslawl-Vater, ein kleiner, korpulenter Mann mit einer im Flammenlicht glänzenden Glatze, in die, von der Stirn herauf, drei schmale, erstaunlich tiefe, nahezu parallel verlaufende Furchen gekerbt waren – als habe der Teufel seine Forke dort entlanggezogen. Neben Jaroslawl wiederum saßen Devantiers Neuerwerbungen Jona und Mona, spindeldürre, spitzkantige Schwestern, die mit ihrer Kautschuk-Darbietung beim Publikum Erschrecken hervorriefen – stilles Erschrecken über das Häßliche, das so mancher erstaunlichen Verrenkung innewohnt. Devantier war sich dieser Wirkung durchaus bewußt. Und doch hatte er die Schwestern verpflichtet? Oh, er hatte ihnen sogar einen der wichtigsten Plätze in der Programmfolge eingeräumt, er läutete mit ihnen jedesmal zur Pause, er ließ ihr Knochengeklapper nachhallen, denn Schönheit, Eleganz und Virtuosität, alles, wonach die Leute im Zirkus verlangten, war schnell vergänglich, gerade hier, wo es sich, Nummer für Nummer, überlagerte und gegenseitig der Wirkung beraubte, jenes Häßliche aber, jenes Scheußliche und Abstoßende, es prägte sich für lange ein, wunderbar, wunderbar.
    Sie alle richteten nun ihre Augen auf Devantier, denn sie alle hatten sein Brüllen aus dem Chapiteau vernommen, und jeder von ihnen zeigte sich begierig zu erfahren, wer den Direktor wohl so in Harnisch gebracht hatte.
    Devantier rief unwirsch: »Was gafft ihr so? Geht’s euch was an? Nichts geht’s euch an! Ach, packt euch doch, packt euch!«
    Jona und Mona warfen sich einen pikierten Blick zu, John Klinger stippte einen Zweig in die Glut, Jaroslawl stürzte einen Schluck Bier hinunter. Nur einer insistierte, nur einer durfte sich das erlauben, und das war Leonelli, denn seitdem er Devantiers Raubtiere übernommen und sich bei deren Dressur ausgezeichnet hatte, verband die beiden eine besondere Beziehung.
    »Komm schon«, raunte Leonelli, »was war los?« Wie um Devantier etwas Zeit zum Überlegen zu geben, nahm er bedächtig seine Strickmütze ab, so daß die rosafarbene Stelle, an der sich einmal sein Ohr befunden hatte, zum Vorschein kam. Er strich sich über die Haare und setzte die Mütze ebenso bedächtig wieder auf.
    »Die kleine Werchow hat voll das Licht aufgedreht. Sie war wieder beim Üben …«, antwortete Devantier. Marty Handy auf seiner anderen Seite rutschte, nachdem Britta erwähnt worden war, möglichst unauffällig näher zu ihm heran.
    »Beim Üben …«, wiederholte Leonelli und wies hinüber zu Jaroslawl. »Ich habe mich mal mit ihm über die Kleine unterhalten, beziehungsweise er hat von sich aus angefangen. Wieso sie eigentlich übe, hat er ziemlich bissig gefragt, sie würde doch sowieso nie was zustande bringen …«
    »Wichser«, entfuhr es da Devantier, und nicht nur Marty neben ihm, sondern auch die gegenüber Sitzenden, einschließlich Jaroslawl,

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